Spannend wie Blumenpflücken

 

 

Grundgedanken & Prota

Ein Kriminalroman, in dem ein Junge ermordet wird, ist an und für sich nichts Besonderes. Auch wenn der Mörder direkt zu Beginn ebenfalls umgebracht wird, ist die Grundhandlung noch immer nicht außergewöhnlich. Einzigartig wird es erst, wenn man den Handlungsort des Romans mit in Betracht zieht: Belgrad.

Der Diogenes Verlag hat den Mut bewiesen, einem Konzept zu vertrauen, das einmal abseits der typischen Kriminalstädte Europas unterwegs ist und stattdessen das für unsere Breitengrade eher ferne Serbien in das Zentrum eines solchen Romans stellt. Dies weckt Erwartungen, eine fremde Kultur ergründen zu können und eine Gesellschaft dargestellt zu sehen, die sonst nicht viel Raum auf dem hiesigen literarischen Markt eingeräumt bekommt. Glücklicherweise ist sich das AutorInnenduo Christian Schneemann und Jelena Volić dieser Haltung der Leser bewusst und erweitert das Setting des Krimis mit den politischen, wirtschaftlichen und sozialen Herausforderungen Serbiens, ein Teil der europäischen Union zu werden. Korruption wird ebenso eine Rolle spielen wie Armut und weitere Einzelschicksale, die immer wieder in den Roman eingeflochten werden, während die Figuren sich im Karussell der eigentlichen Handlung befinden.

Bei der Haupt-Protagonistin dieses Romans handelt es sich um die Ermittlerin Milena Lukin, die sich auf Drängen des Anwalts des toten Mörders dem Fall annimmt, während sie gleichzeitig noch ihre gescheiterte Ehe, ihren Nachwuchs und die politischen Kontakte zur EU aufrecht erhalten muss. Lukin ist eine wahre Powerfrau, die sich von keinem dieser einzelnen Handlungspunkte stark beeinflussen lässt und sehr geradlinig nach Lösungen sucht. Gleichzeitig ist sie kaum emotional und auch wenn manche Gedanken interessante Einblicke in ihr Seelenleben bieten, sind wahre Gefühlsausbrüche eher selten. Beinahe klischeehaft scheint die Osteuropäerin abgekühlt und von den Ereignissen nicht bewegt zu sein. Ihr geht es vor allem um Ergebnisse und Fortschritte; Hindernisse sind eine lästige Nebensache ihres Lebens, die sie schnellstens aus dem Weg räumen möchte. Durch eben jene Fokussierung auf eine effektive Vorgehensweise, hat sie manches Mal einen beinahe robotorähnlichen Anstrich in ihrer Charakterfärbung, der eine Identifikation mit ihr auf Dauer erschwert. Sie wirkt zwar lebensecht, aber gleichzeitig so fixiert auf ihr Weiterkommen, dass es nicht immer gelingt, eine Verbindung zu ihr herzustellen. 

Struktur

Es mag an den zwei Federn liegen, die gemeinsam an diesem Werk gearbeitet haben, aber strukturell herrscht ein erstaunliches Chaos: Immer wieder springt die Erzählperspektive von einer Figur zur anderen, ohne einen erkenntlichen Sinn, warum man mal bei z.B. Luca, mal bei einer amerikanischen Touristin (ihre wahre Identität sei aus Spoiler-Gründen nicht verraten) oder etwa bei der Ermittlern Lukin landet. Dazu ist es überraschend mit welcher Konstanzlosigkeit diese einzelnen Abschnitte sowohl in der Länge, in der Bedeutung für den gesamten Roman als auch in ihrer Nutzung von Elementen wie Zeitsprüngen variieren.

Zusätzlich begeht das Autorenduo einen der größten Fehler, den man bei einem Kriminalroman machen kann: sie bauen mit einem Kapitel Spannung auf, nur um danach einen Wechsel der Perspektive zu vollziehen und die Spannung ins Nichts verpuffen zu lassen. Frust ist so vorprogrammiert, insbesondere da dies bei gefühlt einem Drittel aller Kapitel der Fall ist.

Sprache

Sprachlich gesehen offenbart dieser Roman eine gewissen Kälte: sowohl die Dialoge als auch die Interaktionen sind eher zielgerichtet und zweckmäßig. Es wird nicht viel geplaudert; alles hat einen Sinn und Unterhaltungen sind meist von kurzer Dauer. Auch die Absätze unterstreichen diesen Eindruck, denn immer wieder sind sie nur einen oder zwei Sätze lang. Verlängern sich diese einmal, geht es meist darum, eine der Figuren von einem Ort zum anderen zu bewegen, also erneut eher aus einem zielgerichteten Grund. Reflexionen über die Situation, die Figuren oder die Gesellschaft sind Mangelware, was sich allerdings nicht störend äußert. Die Sprache dieses Romans soll effektiv gestaltet sein und erzeugt trotz der Distanz ein gewisses Tempo. Die kurzen Kapitel ergänzen diesen Umstand.

Lesegefühl

Dieses Werk stellt Leser vor ein Paradoxon: während man in die kulturellen Verstrickungen und Probleme eintauchen will und auch den Mordfall durchaus interessant finden wird, erschwert es der Roman durch seine undurchsichtige Struktur, sowie vielen unbefriedigenden Kapitelübergängen, diese Sogwirkung aufrecht zu erhalten. Als wolle er Leser in die Welt und die Geschichte locken, nur um ihnen bei Höhepunkten des Interesses die Tür vor der Nase zuzuknallen und sie dann zu einem anderen Ort der Geschichte zu schicken. Ständig wechselt man von Person zu Person, Zeitgeschehen zu Zeitgeschehen und verliert dabei nicht nur regelmäßig das Interesse an den Figuren, sondern fragt sich immer wieder, warum man ohne Not so durch diese Handlung teleportiert wird.
Verharrt man aber dann doch einmal länger bei z.B. der Protagonistin Lukin, erlebt man auch hier einen literarischen Zwiespalt: zwar ist die Figur glaubwürdig gestaltet und man folgt ihr einigermaßen gerne durch die Landschaft Belgrads, ist sie gleichzeitig aber zu wenig Ermittlerin, beschäftigt sich zu selten und zu nebenbei mit dem Mordfall und ist viel (!) zu häufig in den persönlichen Dramen rund um ihre gescheiterte Ehe und ihre Familie vertieft. Als hätte man versucht, eine sozialkritische Note über das schwierige Arrangement von getrennt lebenden Eltern in diesen Krimi einzubauen, drängen diese Episoden immer wieder in den eigentlichen Mordfall und kosten unnötig Lesezeit, da ein einziger dieser Ausflüge gereicht hätte, um die Charakterbildung voranzutreiben. Die gefühlt ein Dutzend Szenen sind überflüssig und sorgen ebenso für eine Verschleppung und Verringerung der Spannung um den Mordfall und dessen Klärung wie es die Fehlentscheidung tut, Lesern am Ende eines interessanten Kapitels nur einen Cliffhanger, aber nicht unmittelbar auch eine Auflösung zu geben.

Insgesamt ist Maiglöckchenweiß daher ein Roman mit hohen Ambitionen, einem interessanten kulturellen Einblick und passablen Figuren, der aber vor allem handwerklich und strukturell für die eine oder andere enttäuschende Dürre im Lesefluss sorgt.

 

Bewertung: 3/5 Büchereulen

Buchdetails

Gebundene Ausgabe: 352 Seiten

Verlag: Diogenes; Auflage: 1 (27. September 2017)

Sprache: Deutsch

ISBN-10: 3257069979

ISBN-13: 978-3257069976

Größe und/oder Gewicht: 11,8 x 2,5 x 18,8 cm

Klappentext: „Maiglöckchen stehen an der Belgrader Straße, wo einst ein kleiner Roma-Junge von zwei Jugendlichen zu Tode geprügelt wurde. Einer der beiden Täter kam damals in Haft, der andere konnte fliehen. Nach fünfundzwanzig Jahren kehrt der Geflüchtete nach Belgrad zurück, stellt sich seiner Vergangenheit und wird kurz darauf tot an der Donau aufgefunden. Selbstmord, behauptet die Polizei und stellt die Ermittlungen ein. Der Anwalt des Toten und Kriminologin Milena Lukin stehen vor einem Rätsel. Bis sie auf ein Indiz stoßen, das sie zu einem Mord führt, der einst das Schicksal eines ganzen Landes bestimmte.“

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