Wien sehen … und sterben!

 

 

Mit Die rote Frau liefert Autorin Alex Beer nun den zweiten Teil ihrer Kriminalromane rund um den teils grummeligen, teils hoch analytischen Rayoninspektor August Emmerich.

Der Vorgänger „Der zweite Reiter“ (Rezension) begeisterte. Er war herrlich unkonventionell und konnte sich sowohl mit seinem Setting, seiner sozio-kulturellen Darstellung der damaligen Verhältnisse, aber auch der Sprache vom Großteil des Krimi-Genres abheben. Nicht zu unrecht erarbeitete sich Beer hierdurch eine dementsprechend hohe Reputation und konnte nicht nur eine Fortsetzung schreiben, sondern kann Ende  Mai 2019 sogar schon den dritten Band und um November eine völlig neue Krimi-Reihe bei Blanvalet herausbringen.

In „Die rote Frau“ bleibt aber erst einmal alles beim Alten: Weiterhin hat es der mürrische Emmerich mit sowohl sich selbst, seiner Kriegsverletzung, als auch mit dem ebenfalls in Schieflage geratenen Wien zu tun. Die Zustände der Stadt haben sich nur unwesentlich verbessert: noch immer reichen sich vielerorts Hunger und Elend die Hand. Auch die heftige Niederlage des ersten Weltkriegs ist längst nicht abgeschüttelt. Gleiches gilt für alte politische Ressentiments.

Was sich allerdings verändert hat, ist das Betätigungsfeld für den Protagonisten des Romans:  Zog es den Inspektor im ersten Band noch vermehrt in die Unterwelt, bekommt er es nun mit höheren sozialen Kreisen zu tun. Zahlreiche Morde sind in den oberen Schichten der Wiener Gesellschaft geschehen und als wäre das nicht Beschäftigungsgrundlage genug, darf sich Emmerich auch noch mit einem verweichlichten Partner, finanziellen Problemen, sowie dem Dominanzgebaren seiner Kollegen herumschlagen.

Es gibt also eine Menge zu tun für einen Kriminalbeamten, der nicht nur im Vorgänger Dreh- und Angelpunkt war, sondern durch den man auch in Die rote Frau in unterschiedliche Milieus des dahingesiechten Wiens eintaucht. Dies gelingt wieder einmal hervorragend: seien es die Besuche in Kneipen, die Zugang zu illegalen Aktivitäten bieten, Begegnungen mit den ärmsten der Armen, oder auch Treffen mit Gesellschaftsschichten, deren triefender Fanatismus auch heutzutage noch verbreitet sein dürfte. Insgesamt ist Wien hierbei zwar etwas weniger schmutzig charakterisiert als noch im Vorgänger, aber in gleichem Maße kommt man nicht umhin, einer Faszination für die Welt zu verfallen. So sehr sich manche Figuren wünschen würden, sie könnten aus dem literarischen Gefängnis entkommen, so sehr will man als LeserIn noch tiefer hinein und immer mehr erfahren. Wie schon im Vorgänger wird hierdurch nicht nur Wien als Schauplatz, sondern vor allem auch die Art der Repräsentation zu einem nicht zu verachtenden Faktor im Trieb, das Umblättern nicht mehr aufhören zu können. Die oftmals angenehme und wohlbedachte Länge der Kapitel tut hierbei ihr Übriges, dass man sich oftmals zwingen muss, das zerfallende Wien für den eigenen Alltag zu verlassen.

Lobenswert sind auch die Erzählweise, sowie der Fall selbst: Im stetigen Wechsel blickt man als LeserIn sowohl Emmerich als auch jenen über die Schulter, die entweder morden oder zum Fortschreiten der Handlung geopfert werden. Diese kurzen Einschübe scheinen ein Markenzeichen dieser Krimi-Reihe zu werden und funktionieren auch dieses mal wieder. Aufgrund dieser geschickten Erzähltechnik entwickelt sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit der Hauptfigur des Krimis, wer an welcher Stelle welche Information über den Fall erhält und ihn zuerst löst. Durch die zahlreichen, glaubwürdigen, Wendungen eben jenes Falles ist man geneigt, sich innerlich den Ermittlungen anzuschließen und darf sich auch darüber freuen, dass die Geschichte nicht einfach abrupt endet, sobald man weiß, wer sich für die Morde verantwortlich zeichnet. Hierdurch erhält man als LeserIn eine Art Belohnung, die längst nicht zum Standard des Genres gehört und daher herauszuheben ist.

Also alles blendend im Nachfolger des herausragenden „Der zweite Reiter“? Nicht ganz. Zwei einzelne Wermutstropfen trüben die Euphorie über das ansonsten äußerst gelungene Werk minimal: Konnte im Vorgänger noch die wunderbare Sprache gelobt werden, weil sie sich frisch anfühlte und weitestgehend auf standardisierte Genrephrasen verzichtete, merkt man bei Die rote Frau, dass für so eine Feinheit nicht die Zeit war. Möglicherweise sollten nach dem Überraschungserfolg des ersten Teils nicht zu viele Monate vergehen, um Emmerich ein weiteres Mal durch Wien zu jagen. Dies würde zumindest erklären, warum die einst besondere Sprache etwas funktionaler wurde. Phrasen, die man bereits aus anderen Thrillern und Krimis kennt, finden nun auch vermehrt hier Verwendung, sodass sich nicht jede Unterhaltung so neu anfühlt wie noch im ersten Abenteuer von Emmerich.

Es bleibt an dieser Stelle allerdings  zu beantworten: Ist diese Veränderung störend? Diese Frage könnte man nur bejahen, wenn man den ersten Teil gelesen hat und ebenfalls positiv gegenüber sprachlichen Neuerungen steht. Wer auf solche Dinge keinen Wert legt oder aber Der Zweite Reiter nicht gelesen hat, wird sich kaum daran stören, dass die Farbvielfalt der Sätze nun etwas blasser gehalten wurde. Glücklicherweise ist Alex Beer als Autorin talentiert genug, nicht auf das sprachliche McDonalds-Niveau z.B. eines James Patterson zu sinken, daher sind die Seiten weiterhin bunt genug, um sie mit Freude zügig zu lesen.

Der zweite Wermutstropfen liegt in der Wahl, die verflossene Liebschaft nebst ihren Kindern als Hauptmotivation für Emmerich zu zementieren. War dieser Handlungsstrang im ersten Teil noch nachvollziehbar und gut eingeflochten, spielt er in diesem Werk eine stark untergeordnete Rolle und jede Interaktion fühlt sich wie Ballast an, von dem man als LeserIn hofft, ihn schnell loszuwerden. Man will wissen, wie sich der Fall weiterentwickelt, wie die Schachfiguren in Bewegung geraten und welche Hinweise als nächstes erarbeitet werden. Die Begeisterung über das Setting, die Darstellung Wiens, den Handlungsverlauf und das eigene Rätselraten, wer denn nun verantwortlich für die Morde ist, peitschen LeserInnen nach vorne, nur um dann etwas unsanft von den Szenen von Emmerich und “seiner“ Luise gebremst zu werden.  Glücklicherweise tut die Autorin LeserInnen den Gefallen und belässt es bei weniger als einer Handvoll solcher (kurzen) Augenblicke, sodass der starken Sogwirkung des restlichen Romans kein Abbruch getan wird.

Insgesamt ist Die rote Frau daher ein sehr guter Nachfolger eines noch besseren Vorgängers, der in den Kernelementen, die für Jubelstürme sorgten, weiterhin seine Stärken ausspielt. Emmerich und das sich nur langsam regenerierende Wien sind ein Duo, das Seinesgleichen sucht und den Vergleich mit anderen Krimireihen nicht zu scheuen braucht. Wer also schon zuvor wagemutig Wien besuchte, sollte erneut zurückkehren, und wer vom Einheitsbrei des Genres ermüdet ist, wird sowohl bei diesem Buch als auch beim Vorgänger, neu erwachen. Auch wenn man sich dabei ertappen könnte, wie man sich wünscht, dass die literarischen Kurzabstecher rund um Emmerich und Luise in der Zukunft der Vergangenheit angehören werden. Es wäre ihm, aber auch uns, zu wünschen.

Bewertung: 4/5

Buchdetails

Taschenbuch: 416 Seiten

Verlag: Blanvalet Taschenbuch Verlag; Auflage: Erstmals im TB (15. April 2019)

Sprache: Deutsch

ISBN-10: 3734107512

ISBN-13: 978-3734107511

Größe und/oder Gewicht: 12,2 x 3,8 x 18,8 cm

Klappentext:

„August Emmerich ermittelt wieder!
Wien in den Nachwehen des Ersten Weltkriegs: Als ein prominenter Politiker ermordet wird, kann sich Inspektor August Emmerich nicht an den Ermittlungen beteiligen, sondern soll sich stattdessen um eine Schauspielerin kümmern, die um ihr Leben fürchtet. Doch der Fall entpuppt sich als nicht so nebensächlich wie es scheint, und schon bald stecken Emmerich und sein Assistent mitten in einem perfiden Mordkomplott – und ihnen bleibt nicht viel Zeit, um die Fäden zu entwirren …“

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