Zweisam gegen die Einsamkeit
Grundgedanken & Prota
Irgendwann im Leben eines lange verheirateten Ehepaares wird der Zeitpunkt kommen, an dem einer von beiden stirbt und die andere Hälfte dieses Duos zurückbleibt. Trauer, Schmerzen und auch das Gefühl der Orientierungslosigkeit sind dann präsent, da eine wichtige Stütze und zentrales Element nicht mehr Teil des Lebens sind. So erging es den zwei Figuren dieses Romans, Addie und Louis, die fortan ohne ihre jeweiligen Partner weiter existieren mussten. Doch anstatt die daraus entstehende Einsamkeit bis ans eigene Lebensende zu akzeptieren, schließen die beiden einen Bund, sich in der Nacht Gesellschaft zu leisten. Die innere Dunkelheit soll hiermit vertrieben werden. Doch die Gesellschaft, die sie umgibt, missbilligt diese Versuche, was zu Reibungen und sozialem Druck führt.
Dies ist die Ausgangslage eines mit knapp über 190 Seiten eher kurzen Romans — man hätte ihn vielleicht sogar eher “Novelle” titulieren sollen —, in dem zwei ältere Menschen die Hauptfiguren spielen und das in einer Weise, die nicht sonderlich aufregend oder gar reißerisch daherkommt, sondern in seiner Tonart doch eher ruhig und an vielen Stellen eher zart erscheint. Trotz dieser Konstellation der zwei Menschen, die sich näher kommen, und einer gewissen romantischen Atmosphäre, ist dies kein Liebesroman. Es ist ein Roman über die Liebe und das Altern an sich; Bedürfnisse, Sehnsüchte, Ängste und Reflexionen über das eigene Leben sind die alles umfassenden Oberthemen dieses Werkes des verstorbenen Autors Kent Haruf.
Bei den beiden Protagonisten handelt es sich um eine 70-jährige Frau, Addie, und ihren ähnlich alten Nachbarn Louis. Beide werden sowohl durch das Miteinander aber auch durch die Geschichten, die sie sich in der Nacht erzählen, mehr als ausreichend und detailliert charakterisiert. Insbesondere durch die Erzählungen aus ihren Leben und Interaktionen mit anderen Figuren des Romans, erhalten die beiden eine erstaunliche Glaubwürdigkeit, sodass man das Gefühl bekommt, man würde echten Menschen folgen.
Das kann an dieser Stelle gar nicht genug hervorgehoben werden, da diese zwei Figuren die Dreh- und Angelpunkte des Romans sind und alles um sie herum geschieht. Hätte Haruf es nicht geschafft, sie derart sympathisch, liebenswert und lebensecht zu gestalten, wäre die ganze Geschichte nichts weiter als die Erzählung älterer Menschen, die sich über ihre Leben unterhalten. So aber wachsen die beiden Menschen ans Herz und man wünscht sich nichts sehnlicher, als dass sie glücklich miteinander werden. Die Darstellung ihrer teilweise charakterlichen Schwächen und Vorzüge ist hierbei ebenso gut gelungen wie die Glaubwürdigkeit ihres Handelns. Es sind Figuren mit Problemen, vielen Eigenheiten und mit Lebensentscheidungen, die sie bereuen und beglücken,
Struktur und Fokus
Strukturell gesehen geht es in diesem Roman recht gesittet zu: Er beginnt in medias res, nämlich in dem Moment, in dem Addie an der Tür von Louis klopft, und bis zur letzten Seite handelt es sich um eine stringente Erzählung. Man ist als Leser stummer Beobachter der Entwicklung zwischen diesen beiden Figuren, ihren Annäherungen und auch in den Momenten, in denen sich noch andere Personen in dieses Figurenkarussell begeben, ist man stets nah dabei. Alles geschieht aber nacheinander und baut größtenteils aufeinander auf.
Es gibt zwar einige wenige Zeitsprünge, die aber nicht erzählerisch, sondern nur in Form von Dialogen dargestellt werden. Meist bittet einer der Protagonisten sein Gegenüber, etwas von sich preiszugeben und diese Ausflüge dauernd meist auch nur wenige Seiten, sodass sie kaum ins Bewusstsein fallen und eher der Schärfung des Charakterprofils dienen, als auf der Handlungsebene etwas beizutragen.
Im Vordergrund dieser Geschichte stehen die beiden Rentner Louis und Addie, die ihr Dasein als Witwer und Witwe nicht mehr länger als Schicksalsschlag wahrnehmen, sondern das Leben wieder lieben lernen wollen. Diesen Fokus verliert der Roman auch bis zur letzten Seite nicht, lediglich wenn sie einmal getrennte Wege gehen, folgt man nur einem von ihnen. Dennoch werden sie immer wieder zueinander geführt und bilden somit den Kern dieses Romans.
Sprache
Die Sprache in diesem Roman ist bemerkenswert, aber gibt auch Anlass für Beschwerden, die von einigen Lesern sicher (und zurecht) kommen könnten. Es ist ein Werk, das in der Form von Beschreibungen und Darstellungen sehr zurückhaltend ist. Meistens wirkt es eher wie ein Theaterstück, so minimalistisch sind die Prosa-Texte, während die Passagen, in denen sich Figuren unterhalten oder lange Monologe aufsagen, deutlich überwiegen.
Dies gibt dem Roman eine angenehme Stimmung, die mit dem weiteren Voranschreiten eine gewisse Sogwirkung entwickelt, der man sich nur schwer entziehen kann. Das liegt nicht zuletzt auch an der Beschaffenheit der Sätze, die variabel sowohl auf struktureller, als auch auf inhaltlicher Ebene gehalten sind. So haben beispielsweise nur die wenigsten Sätze eine deutliche Überlänge, können aber dennoch für Herzstiche und eine unangenehme, aber gewollte Schwere beim Lesen sorgen. Immer wieder einmal werden so ganze Abschnitte, die an sich kaum Besonderheiten aufweisen, durch geschickte Weisheiten oder von tiefer Trauer gefüllte Sätze an die Leser weitergegeben, sodass für Abwechslung auf sprachlicher Ebene durchaus gesorgt ist.
Problematisch hingegen ist die Wahl der äußeren Präsentation der Dialoge. Anstatt deutsche oder französische Anführungszeichen zu nutzen oder mit kursiver Schrift zu arbeiten, heben sich die ausgesprochenen Inhalte nicht von denen der Beschreibungen ab. Dies hat zur Folge, dass man einerseits als Leser erst einmal verstehen muss, dass kein erzählender Text, sondern eine Aussage folgt, andererseits dann herausfinden soll, wer da spricht. Das gelingt zwar in den meisten Fälle ohne große Probleme, aber da der Autor auch nicht mit visuellen Hilfen wie “sagte er/sie” o.ä. arbeitet, können insbesondere längere Dialoge verwirrend sein. Jede neue Aussage wird zwar in eine neue Zeile gesetzt, sodass ein Wechsel der Sprecher deutlich wird, aber trotzdem kann es passieren, dass man noch einmal weiter oben ansetzen muss, um nachvollziehen zu können, welche Figur was sagt.
Lesegefühl
Die Prämisse dieses Romans verhilft dazu, von Beginn an ein Gefühl der Schwere zu empfinden, das gepaart mit dem Wunsch ist, diese zwei Figuren von ihrer Einsamkeit befreit zu sehen. Es ist eine Situation, die sich seltsam vertraut anfühlt, wird doch jeder von uns im späten Lebensalter vor die Frage gestellt, ob man die letzten Monate und Jahre alleine verbringen möchte oder ob man es gar muss, da — wie im Fall von Louis und Addie — der lebenszentrale Punkt durch den Tod verschwunden ist. Diese Frage allein bringt die Ausgangssituation des Romans bereits nah ans Herz der Leser.
Das Lesevergnügen intensiviert sich dann sogar noch, da man selten sympathischere Figuren kennengelernt haben wird, denen man dieses Glück der Zweisamkeit wünschen würde. Ohne eine einzige Hürde bindet man sich leicht an die beiden Figuren und begleitet von da an ihre Annäherungsversuche. Diese sind in ihrer Struktur und Ausführung von außergewöhnlicher Zartheit, die dem Roman gut zu Gesicht steht. Es geht schlichtweg nicht um Sensationen oder darum, ein sozialkritisches Plädoyer zu halten. Es geht viel mehr um zwei Menschen, die nicht länger allein sein wollen. Das ist verständlich und wird einfühlsam präsentiert, sodass die anfängliche Bindung nur noch stärker wird und sogar Charakterschwächen können hieran kaum mehr rütteln.
Einzig allein das dritte Viertel trübt den hervorragenden Leseeindruck etwas, da hier nicht mehr der Fokus auf die beiden gelegt wird, sondern der Interaktion mit einer anderen Person, die an dieser Stelle nicht verraten wird, um den Lesespaß nicht zu mindern. Diese Passagen sind zwar noch immer sprachlich wie auch inhaltlich auf einem hohen Niveau, aber sie führen weg von der Geschichte um Zweisamkeit von Louis und Addie, wodurch man sich selbst dabei ertappt, dass man sich von der hinzugekommenen Person wünscht, sie möge bitte schnell den Roman verlassen, da sie ein Hindernis für die intimen, ruhigen Momente darstellt.
Das letzte Viertel ist dann noch einmal eine Herausforderung auf inhaltlicher Ebene und stellt die Leser-Figuren-Verbindung auf eine Bewährungsprobe, die zu Beginn des Romans noch nicht ersichtlich gewesen war. Das Tempo wird erneut angezogen, Dramatik wird dem Roman hinzugefügt, sodass man die das eher fade dritte Viertel schnell hinter sich lässt und wieder ein Teil von Addie & Louis wird. Zwei Figuren, die eigentlich alles Glück der Welt verdienen…
Bewertung: 4/5 Lese-Eulen
Buchdetails
Gebundene Ausgabe: 208 Seiten
Verlag: Diogenes; Auflage: 2 (22. März 2017)
Sprache: Deutsch
ISBN-10: 3257069863
ISBN-13: 978-3257069860
Originaltitel: Our Souls at Night
Größe und/oder Gewicht: 12,3 x 2 x 19 cm
Größe und/oder Gewicht: 11,6 x 2,2 x 18,5 cm
Klappentext:
„Holt, eine Kleinstadt in Colorado. Eines Tages klingelt Addie, eine Witwe von 70 Jahren, bei ihrem Nachbarn Louis, der seit dem Tod seiner Frau ebenfalls allein lebt. Sie macht ihm einen ungewöhnlichen Vorschlag: Ob er nicht ab und zu bei ihr übernachten möchte? Louis lässt sich darauf ein. Und so liegen sie Nacht für Nacht nebeneinander und erzählen sich ihre Leben. Doch ihre Beziehung weckt in dem Städtchen Argwohn und Missgunst.“
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