Großer Roman im kleingeistlichen Dorf!

 

 

Grundgedanken

Bevor man überhaupt eine erste Seite dieses gewichtigen Werkes gelesen hat, springen vor allem die überkandidelten Lobpreisungen auf der Rückseite und auf der Innenseits ins Auge: Volker Weidemann, seines Zeichens u.a. Moderator und Teilnehmer des literarischen Quartetts (ZDF), spricht beispielsweise vom „Roman der Stunde“, während Ursula März (DIE ZEIT) dieses Buch als „vorzüglichen Lesestoff“ preist. Ein erstaunlich großer Korb an Vorschusslorbeeren, die Lesern bereits früh  begegnen und die Erwartungshaltung haushoch steigern.

Unterleuten ist der Titel dieses Romans und gleichzeitig auch der Name des Dorfes, in dem sich Lug mit Trug die Hände reicht, Intrigen gesponnen werden, persönliche Differenzen zu mal lautstarken, mal handfesten Auseinandersetzungen führen und auch unterschiedliche Egoismen die Tonlage der Handlung definieren. Was aufwendig und vielseitig klingt, ist in seiner inhaltlichen Grundstruktur leicht zusammengefasst: es soll ein Windrad in der Nähe eines Dorfes gebaut werden, doch es herrscht keine Einigkeit darüber, ob das Dorf diesem Unterfangen zustimmen soll oder nicht. Persönliche Interessen beeinflussen so manche Handlungen ebenso wie Charakterzüge und Beziehungsgeflechte, die sich bereits seit Jahrzehnten in diesem kleinen, manchmal von der Welt abgeschottet scheinenden, Dörfchen entwickelt haben.

Struktur & Fokus

Die Struktur dieses Romans ist vor allem durch ein erzählerisches Wagnis geprägt: Jedes Kapitel ist aus der Sichtweise einer anderen Person geschrieben, die dann jeweils ihre Eindrücke und Gefühle über die Geschehnisse darbietet. Dies ist insbesondere zu Beginn eine Herausforderung, da man sich erst einmal an die ständigen Perspektivwechsel und die vielen Namen gewöhnen muss. Nach und nach werden einem aber die Synergien der Kapitel bewusst: Folgt man einer Figur beispielsweise zu einer Dorfsitzung, wechselt das Kapitel darauf zu einer Person bereits in der Sitzung, gefolgt von unterschiedlichen Kapiteln, die wiederum den Fortgang des Treffens miterleben. Zeh inszeniert jedes Kapitel hierbei derart filmisch, dass die Übergänge zu Kapiteln wie Schnitte im Film wirken und so eine ganz besondere Ausstrahlung besitzen.

Sprache

Präzisionsarbeit — das ist wohl die passendste Beschreibung der Sprache in Juli Zehs Roman. Jeder Satz wirkt, als sei an ihm über mehreren Phasen hinweg gewerkelt und solange poliert worden, bis er im Inneren der Leser glänzt. Es ist eine erstaunliche Leistung, neben den vielen Figuren auch noch die Sprache selbst als einen beeinflussenden Akteur zu etablieren, der das Geschehen nicht nur passiv begleitet, sondern eigenständige Regungen erzeugt. Manches Mal schneiden die philosophisch-rhetorischen Sätze sogar derart tief in das Lesefleisch, dass man sich noch Seiten später an sie erinnert und sich dabei ertappt, wie man über sie nachdenkt.

Unterleuten bietet eine Sprache einer literarischen Herzchirurgin, die jedoch Kennern von z.B. Juli Zehs “Treideln” nicht sonderlich überraschen würde. Überraschend hingegen ist die Konsequenz, in keinem der 62 Kapitel einen Abfall des sprachlichen Niveaus zu erlauben und die Fähigkeit zu besitzen, auch nach hunderten Seiten keinen Absatz wie einen vorherigen wirken zu lassen. Zeh ist sich stets nicht zu schade, die Extrarunde zu gehen und sich möglicher Phrasen, die ihr Schreiben sicherlich erleichtert hätte, zu entledigen.

Lesegefühl

Der Beginn von Unterleuten hat viel Ähnlichkeit damit, selbst in einer neuen Gegend anzukommen: man bemüht sich um Orientierung, muss erst einmal alles kennenlernen und wird bestenfalls von einigen der Bewohner an die Hand genommen. Schnell können es jedoch zu viele werden und man vergisst, woher man wen kannte, wie die Namen zu den Gesichtern waren und wer in welchem Verhältnis zueinander stand. Hier hat Zeh und der btb Verlag dankenswerterweise vorgesorgt, denn im hinteren Teil des Buches befindet sich eine Auflistung aller Figuren, inklusive einer kurzen Beschreibung. Dies ist am Anfang der Lektüre und nach jeder kurzen Lesepausen sehr hilfreich, um wieder in die Handlung zu finden.

Die Komplexität der Handlung und Figurenvielfalt sind jedoch keine grauen Wolken im Lesevergnügen, denn Unterleuten wird nicht nur vielgepriesen, es hat die Jubelarien tatsächlich— und entgegen aller Erwartungen— auch verdient. Selten wurde eine deutsche Dorfgemeinschaft so akkurat und vielseitig dargestellt, noch seltener gelang ein Aufeinandertreffen von derart verschiedenen Figuren und man wird immer wieder erstaunt den Kopf schütteln, wie verzahnt die einzelnen Rädchen dieses Dorfes sind. Zeh muss sich bei der Vorbereitung und Planung des Romans ein kriminologisches Verbindungsnetz aufgebaut haben, um nicht selbst durcheinander zu kommen.

Aber nicht nur die hervorragend gelungenen Figuren sind ein Triumph dieses Romans. Hinzu gesellt sich eine wunderbar in den Bann ziehende und mit einer schleichenden Sogwirkung ausgestatteten Sprache. Auch die Darstellung der Gesellschaft funktioniert auf eine derart besondere Weise, dass man sich dabei ertappt, die über 600 Seiten nur so zu verschlingen. Eigentlich lehnt man dieses Dorf und dessen Bewohner mit jeder Faser des eigenen Körpers ab, allerdings kommt man nicht umher, trotzdem Faszination für die Geschehnisse zu entwickeln, so kleingeistig sie auch in ihrem Inneren sind. Unterleuten ist nicht weniger als einer der besten und überzeugendsten Romane der letzten Jahre, der viel zu geben hat und dem es an wenigem mangelt.

Nur eine Sache gelingt diesem Buch zu gut: von nun an werden sich Leser bei jedem Windrad die Frage stellen, wie viel Chaos dessen Bau wohl geschaffen hat. Ein kleiner Preis, den man nur zu gerne bereit zu zahlen ist bei einem derart fantastischem Werk.

 

Buchdetails

Taschenbuch: 656 Seiten

Verlag: btb Verlag (11. September 2017)

Sprache: Deutsch

ISBN-10: 3442715733

ISBN-13: 978-3442715732

Größe und/oder Gewicht: 14,1 x 4,8 x 20,7 cm

Klappentext:

„Wer nur einen flüchtigen Blick auf das Dorf in Brandenburg wirft, ist bezaubert von den altertümlichen Namen der Nachbargemeinden, von den schrulligen Originalen, die den Ort nach der Wende prägen, von der unberührten Natur mit den seltenen Vogelarten. Doch hinter den Fassaden der kleinen Häuser brechen alte Streitigkeiten wieder auf. Und obwohl niemand etwas Böses will, geschieht Schreckliches.

Mit „Unterleuten“ hat Juli Zeh einen großen Gesellschaftsroman über die wichtigen Fragen unserer Zeit geschrieben, der sich hochspannend wie ein Thriller liest. Gibt es im 21. Jahrhundert noch eine Moral jenseits des Eigeninteresses? Woran glauben wir? Und wie kommt es, dass immer alle nur das Beste wollen, und am Ende trotzdem Schreckliches passiert?“

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