Wie in meinem Beitrag “Reboot & Weiterentwicklung” angekündigt, gibt es eine Woche vor dem offiziellen Neustart dieses Blogs einen kleinen Auszug aus meinem Roman, an dem ich so lange arbeitete :)! Zu Beginn wird euch der Klappentext in die grobe Situation verhelfen und danach folgt der etwas gekürzte Prolog! Durch den bekommt ihr bereits einen Eindruck, mit welcher Art von Menschen es die zwei Hauptfiguren zutun haben und welche Probleme sich ihnen in den Weg stellen werden.

Viel Spaß beim Lesen :)! Und nicht vergessen am 5.5. um 15 Uhr gibt es den ersten richtigen Autorenblog-Artikel seit über einem Jahr :)!

 

Klappentext

David und Esther kämpften über Jahre in einem Arbeitslager um ihr Überleben. Wieder in Freiheit wollen sie in ihre vom Krieg gebeutelte Heimat zurückkehren. Dort begegnen ihnen nicht nur zerstörte Häuser, sondern auch der ungebremste Hass der Bewohner. Eines Tages bekommen sie allerdings die Chance, sich für all das erlebte Leid zu rächen. Es könnte ein Menschenleben kosten. Wie werden sie sich entscheiden …?

 

Auszug

Prolog  – Die Ankunft

Fremde Stimmen und lautes Gepolter drangen in die Wohnung eines Mannes, der seit langem alleine war. Er sah sich selbst als loyales Urgestein eines Mietshauses, dessen andere Bewohner längst das Weite und damit ihr Glück gesucht hatten. Eine Fluktuation an menschlichen Leben. Ähnlich den Lebensadern einer Handfläche verlief sie mit zahlreichen Abzweigungen: mal kamen interessierte Wohnwillige in Scharen, mal verließen sie das Gebäude. Oft auch den Ort und in jüngster Vergangenheit sogar das Land — aus Angst, aber voller Hoffnung. Mit ihnen nahmen sie die Lebhaftigkeit und das bunte Treiben, das Ansammlungen von Menschen ausmacht. Es war still geworden im Haus.

Umso aufdringlicher wirkte der Krach vom Hausflur, den Ulrich Jaffke vernehmen musste. Er schüttelte sich vor Wut. Sein streng zur linken Seite gestriegeltes, helles Haar wurde zum Wackeln gebracht. Er sah sich gezwungen, es sorgsam von Neuem zu ordnen. Seine Hand roch nach der flüssigen Produktion seines Mundraumes, die dafür sorgte, seine Frisur erneut in die Position zu bringen, die er für angebracht, gar modern hielt.

Der Umstand, dass er sich denken konnte, wer für diesen Krach verantwortlich war, steigerte seine Unruhe noch weiter. Auch wenn er überrascht war, dass sie bereits so schnell ihre Zelte wieder in diesen Gefilden aufschlagen würden. Es gab in den  letzten Wochen öffentliche Meldungen, dass es wohl in den nächsten Monaten vermehrt zu Enteignungen kommen würde. Vom Krieg unberührte Wohnungen, deren Besitzer entweder nicht mehr kontaktiert oder identifiziert werden konnten, sollten in den Besitz des Staates übergehen. Der wiederum würde jenen eine Rücksiedlung ermöglichen, die als Bevölkerungsgruppe zuvor verflucht und vertrieben wurde — auch von Jaffke.

»Das sind sie. Müssen sie sein. Einen solchen Lärm machen nur die. Es ist Sonntag! Mittagsruhe geht bis exakt 15 Uhr, aber die Herrschaften meinen natürlich, dass sie unsereinem wieder auf der Nase herumtanzen können. Aber nicht mit mir, das werden sie aber erleben!«, sprach er zu sich selbst und schlug dabei mit Kraft auf die Lehne seines grauen Sessels.

Kurz darauf war erneut ein Geräusch zu hören, das danach klang, als hätte man ein schweres, hölzernes Möbelstück nicht hoch genug gehoben und sei gegen die Treppenstufen gestoßen. Jaffke schaute mürrisch auf die Hebräuer Tageszeitung und begann mit den Zähnen zu knirschen. Währenddessen suchten seine Augen nach einer unterhaltenden Ablenkung gegen seinen Ärger. Hektische Pupillen sprangen zwischen den Artikeln umher, wurden dabei in ihrem Versuch, einen Ankerpunkt zu erhaschen, immer hastiger, aber Jaffkes Konzentration wurde jäh durch weitere hörbare Schritte und Stimmen unterbrochen.

»Da wohnt man im vierten Stock und hat noch keine Ruhe! Eine Unverschämtheit! Diese Bagage! Neue Mieter — schlimm genug, aber dann auch noch solche!«, sagte er erneut zu sich selbst und trat kurzerhand gegen den kleinen dunkelbraunen Beistelltisch neben sich. Das Wasserglas darauf erzitterte.

Dann griff er mit einem Arm zu seinen beiden metallischen Hilfen, die seitlich an den Sessel gelehnt waren. Sie standen dort seit seinem letzten Gang und warteten darauf, dass man ihrer Existenz wieder eine Begründung verschaffte — zwei Diener, die sich nie beklagten und stets für den Besitzer da gewesen waren. Auch wenn der sich nichts sehnlicher wünschte, als diese Dinger aus dem Fenster werfen zu können, um Eigenständigkeit zurückzuerlangen. Sein Blick auf die Hilfen wurde stets mit einem Gesichtsausdruck des Abscheus begleitet, so auch in diesem Moment. Er entschied sich, eine der beiden stehen zu lassen und somit zumindest zur Hälfte der Mensch zu werden, der er vor der zersplitternden Kriegserfahrung gewesen war.

Ulrich Jaffke führte seine rechte Hand über die Gehhilfe, die zwar stabil aussah, sich für ihn aber selbst nach monatelanger Übung noch immer wie ein Fremdkörper anfühlte. Er richtete sich vom Sessel auf, indem er seinen linken Arm auf die Lehne stützte, sein linkes Bein begradigte, die Gehhilfe in Position brachte und mit einem anstrengenden Kraftakt aus dem tiefen Sitzpolster erhob. Ein leises Stöhnen war zu vernehmen.

In gerader Haltung musste er einen kurzen Augenblick verharren, damit er einige Male durchatmen konnte. War ein Aufstehen für viele Menschen keine herausfordernde Tätigkeit, spürte er speziell bei dieser Bewegung regelmäßig einen Stich in seine rechten, unteren Gliedmaßen ziehen. Er wusste, dass das nicht sein konnte, aber sein Gesicht verzog sich zu einer schmerzhaften Miene. Genauso als würde man mit dem kleinen Zeh gegen einen Schrank stoßen. Sicher empfand er nur Gespenster, besser gesagt Phantome, die hinunter in sein vermeintliches Bein jagten. Dennoch waren die Schmerzen für ihn so real, wie sie es für andere Menschen nur sein konnten.

Nachdem der Stich einige Sekunden lang seinen Geist gelähmt hatte, hörte er erneut zwei Stimmen vom Hausflur kommen. Das Stechen war daraufhin zwar nicht vergessen, aber sein Zorn überstieg den Schmerzpegel. Jaffke konnte sich wieder darauf konzentrieren, warum er überhaupt aufgestanden war und sich den Pfeilspitzen ausgesetzt hatte: Er drehte seinen Körper in die Richtung der Eingangstür und versuchte, so souverän und unauffällig gehend wie nur möglich, die Distanz der wenigen Meter zu überbrücken. Eine Scharade, die er, ob unbeobachtet oder nicht, aufrechterhielt. Er wollte nicht wirken, als müsste man zu ihm eilen und ihm bei der Fortbewegung unter die Arme greifen. Zwar bekam er die gleichnamige Rente, aber er war noch lange kein Invalide — dem eigenen Selbstverständnis nach zumindest.

Dieses Maß an Normalität zu erreichen, war zu Beginn ein schwieriges Unterfangen, da sein linkes Bein ein anderes Tempo vorgab, als er mit dem rechten Arm und der Metallhilfe gehen konnte. Aber nachdem er sich angewöhnt hatte, die rechte    Körperhälfte zuerst nach vorne zu bringen, lief es besser. Trotzdem wusste er, dass er von einem normalen Gang weit entfernt war; allein das klackernde Geräusch des metallischen Stabes zerstörte jede Illusion eines reibungslosen Ablaufs. Nichtsdestotrotz hatte er in den letzten Monaten Fortschritte gemacht und sich selbst in die Lage versetzt, wenige Meter auf ebener Fläche einigermaßen zügig hinter sich bringen zu können. So konnte er seine Eingangstür noch rechtzeitig erreichen, als die Stimmen — er machte eine eher gleichaltrige männliche und eine jüngere, weibliche Klangfarbe aus — unmittelbar hinter dem dünnen Holz seiner Tür zu hören waren.

Jaffke rang zwar ein wenig nach Sauerstoff, schaffte es aber, sich stabil auf das linke Bein zu stellen. Die Krücke nahm er in die Linke, mit der rechten Hand griff er nach der Türklinke und öffnete sie bewusst leise. Hätte er doch nur einen Türspion eingebaut, ging es ihm durch den Kopf.

Er hob die Tür leicht mit dem Zeigefinger und Daumen an, da sie die ungebührliche Angewohnheit besaß, auf dem Holzboden zu kratzen. Jaffke konnte sich bisher nicht dazu durchringen, den Bereich abzuschleifen, um dem ausgedehnten Holz mehr Platz zu geben.

Die Tür öffnete er nur einen kleinen Spalt, pupillenbreit. Er sah, wie zwei hagere Menschen einige Taschen in die ihm gegenüberliegende Wohnung trugen. Sie unterhielten sich, aber noch bevor er das Thema verstehen konnte, blickte sich der fremde Mann vor ihm in seine Richtung um.

Das überraschte Ulrich Jaffke so sehr, dass er die Holztür reflexartig mit beiden Händen zudrückte. Dabei lockerte er unachtsam den Griff um seine Gehhilfe, die zu Boden fiel und mit ihrem Hals, in den man seinen Arm steckt, gegen die Tür schlug.

Ein stumpfes Geräusch ertönte, das Jaffke mit rotem Gesicht zur Kenntnis nahm. Seine Augen waren krampfhaft geschlossen, seine Lippen zusammengepresst.

»Was erschreckt mich dieser Ruhestörer auch so«, murmelte er vor sich hin, nachdem einige Sekunden vergangen waren und er darauf gewartet hatte, ob vom Hausflur eine Reaktion kam.

Alles war still. Vielleicht hat die Bagage es auch nicht gehört? Oder sie traut sich nicht. Die wissen wohl, dass sie sich nicht mit mir anlegen sollten, dachte er.

»Die sollen bloß aufpassen. Sonst blüht ihnen was, dieses dreckige Pack!«, sagte er, nachdem er seine Gehhilfe gegriffen hatte und peinlich berührt zu seinem Sessel gegangen war.

 

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