Im heutigen Beitrag möchte ich darüber aufklären, welche Methoden man anwenden kann, um möglichst viele tiefgreifende Emotionen bei LeserInnen zu wecken und sie damit derart zu begeistern, dass sie immer wieder gerne zurückkehren werden, um neuen Büchern eine Chance zu geben, sogar wenn das Genre oder Thema auf den ersten Blick vielleicht nichts für sie ist.

Viel Spaß!

Wir Autoren haben eine Menge Aufgaben, wenn wir eine Geschichte schreiben: wir planen Handlungen, Schauorte, denken uns Charaktere aus, lassen sie interagieren, überprüfen, ob alle diese Rädchen logisch ineinandergreifen und verwenden viel Zeit darauf, Sätze zu formulieren, die von LeserInnen wertgeschätzt werden sollen. Eine der wohl wichtigsten Aufgaben jedoch ist es, LeserInnen auf emotionaler Ebene abzuholen, sie damit tief in die Geschichten eintauchen und dabei wahre Gefühle empfinden zu lassen. Ein schwieriges Unterfangen, keine Frage, und daher sollen die nun kommenden Ausführungen Anhaltspunkte liefern, wie man LeserInnen nicht nur ein wenig emotional ergreift, sondern sie wirklich packt, nicht mehr loslässt und sie dadurch völlig von sich überzeugt. Selbstredend sind wir Autoren die Schmiede unseres eigenen Glückes und daher besitzen die kommenden Punkte nicht den Anspruch, ausschließlich jede Methode darzustellen; sie sind viel mehr ein Potpourri der Möglichkeiten, das durch individuelle Vorlieben und Schreibstile noch erweitert werden kann. 

Wie fesselt man Leser emotional?

Methode #1: Mache dich auf die Suche nach dem emotionalen Kern!

Eine sehr analytische Methode, die viel wissen um die eigenen Charaktere, Handlungsorte und die Beziehungskonstrukte erfordert, aber dafür Grundlage für beinahe jeden der folgenden Wege ist. Um den emotionalen Kern zu suchen und ihn dann auch zu finden, gilt es, sich eine Menge Fragen zu stellen, um nicht nur beliebige Charaktere in noch beliebigere Situationen zu stecken, die dann nur wegen des Interaktionswillens miteinander sprechen. “Emotionaler Kern” beschreibt hierbei die Antriebs-/Reibungs-/Knackpunkte von Charakteren und Szenen, die unter anderem mit diesen Fragen ergründet werden können: Was bewegt die Figur, was sind ihre Wünsche/Träume/Ängste, was sind die Gefühlsbindungen zu den Orten/Personen/Situation und wer tut eigentlich was aus welchem Grund? Man muss seine Figuren durchleuchten und ausloten, was ihnen am wichtigsten erscheint, was sie rührt  und in welcher Beziehung sie zu ihrer Umgebung stehen. Erst mit diesem Wissen kann man eine Handlung stricken, die in der Lage ist, LeserInnen emotional zu fesseln, denn hierdurch werden Geschichten gewoben, die auf der Gefühlsebene echt und nachvollziehbar sind.

Methode #2: Bandbreite der Emotionen ausnutzen!

 Denkt man an den Begriff “Emotionen”, fallen jedem von uns zweifelsfrei eine Handvoll Wörter ein, die einige Eckpunkte von Gefühlen beschreiben, darunter sicher Begriffe wie Angst, Liebe, Schmerz, Glück und Freude. Doch es gibt noch viel mehr Gefühle, als nur diese Oberkategorien und dessen sollte man sich als AutorIn bewusst sein: Das Schaubild* auf der rechten Seite verdeutlicht sehranschaulich, wie viele Arten von Gefühlsregungen es gibt und viele davon sind uns allen sehr bekannt. Das bedeutet aber gleichzeitig, dass sie unseren Figuren ebenfalls bekannt sein müssen, damit sie real wirken und greifbar sind.Eindimensionale Charaktere, die nur glücklich, ängstlich oder hasserfüllt sind, gibt es genug. Um Leser aber wirklich begeistern zu können, braucht es Figuren, die ebenso vielschichtig sind, wie LeserInnen selbst. Nur so können sie sich mit unseren Figuren identifizieren und dadurch eine größere emotionale Wucht empfinden, die sie ganz anders mitreißt, als wenn man Charaktere hätte, zu denen man keine wirkliche Verbindung herstellen kann. 

Es sei aber an dieser Stelle davor gewarnt, zwanghaft alle diese Gefühlsebenen in die Geschichten einbauen zu wollen. Es ist Fingerspitzengefühl gefragt! Wenn ein Charakter zu sprunghaft ist, wirkt dieser eventuell unberechenbar und das wäre einer Bindung zwischen LeserIn und Figur nicht dienlich. Lernt eure Charaktere und Geschichten kennen, konstruiert sie als echte Menschen/Wesen und findet dann ein Gefühl dafür, welche der im Schaubeispiel aufgeführten Emotionen passend erscheinen.

Methode #3: Das Geben-Nehmen-Prinzip!

Einer der wirksamsten Wege für eine möglichst allumfassende, emotionale Reaktion bei LeserInnen zu sorgen: Erfülle den Charakteren in einem Moment der Geschichte — oder nimm es sogar als Ausgangspunkt — alle Wünsche und Träume. Lass die Figuren sich in Glückseligkeit ergötzen, unglaubliche Freude empfinden und rundum zufrieden sein. Dann nimm diese Dinge wieder eines nach dem anderen weg, verbrenn sie vor den Augen der Charaktere und zerbrösele die Asche. Klingt radikal und brutal, richtig. Genau darum geht es: Eine solche Achterbahnfahrt von Jubel und Heiterkeit zu Angst, Trauer, Wut und Verzweiflung sind die ideale Basis für Katharsis, eine innere Reinigung der Leser, durch die der behandelte Stoff viel mehr Eindrücke hinterlässt. Es wird LeserInnen aufwühlen, sie stellenweise vielleicht sogar überfordern, aber gerade das wird die Handlung und damit euer Buch so faszinierend machen. Traut euch, große Gefühle unterschiedlicher Art auszulösen, dass LeserInnen vielleicht sogar weinen oder vor Wut in Kissen beißen wollen. Seid gnadenlos! Viele AutorInnen gehen diesen Schritt nicht, sondern behandeln ihre LeserInnen gerne als rohe Eier, denen man nichts zumuten darf. Wenn ihr gegen diesen Strom schwimmt, stecht ihr automatisch heraus und seid etwas Besonderes. Ihr müsst diese hochemotionalen Szenen nicht übermäßig nutzen und könnt gerne entscheiden, ob die Geschichte an einem Negativpunkt endet oder ob man den Charakteren doch ein Happy End gönnt, aber das Auf und Ab ist von entscheidender Bedeutung, um möglichst viele Emotionen zu wecken und LeserInnen aufzuwühlen. 

Methode #4: Lass die Realität deine Inspirationsquelle sein!

Es ist für uns Autoren nicht immer einfach, einen Stoff zu finden, der es wert erscheint, ihn zu Papier zu bringen. Vielen von euch mag insbesondere jetzt die Frage beschäftigen, dass diese Methoden zwar hilfreich sind und Wege bieten WIE man emotional schreibt, aber noch keinen Anhaltspunkt boten WAS man denn schreiben soll. Dabei umgibt euch die Antwort bereits: Man muss nur einen Blick in die Tageszeitungen oder auf das Weltgeschehen werfen und findet unendlich viele Beispiele von traurigen, wunderbaren, wütend machenden und aufregenden Erlebnissen, die allesamt hervorragende Quellen für das eigene Buch und die eigene Handlung sind. Hört in euch selbst hinein, wenn ihr Nachrichten lest oder von ihnen hört: was hat euch zuletzt wirklich berührt oder aufgeregt? Was sind Dinge, die in eurem eigenen Leben starke Emotionen haben auslösen können? Gleiches könnt ihr euch natürlich auch bei Freunden/Verwandten fragen und ihr werden eine lange Liste an Situationen erhalten, die euch eine Inspiration bieten können. Und wenn ihr da nicht fündig werden solltet, macht es wie George R.R. Martin, der bei seinen “Game of Thrones”-Büchern viel Tragik und Inspiration in der Geschichte und historischen Persönlichkeiten fand. Für alle Interessierten sie die folgende Seite empfohlen: http://www.telegraph.co.uk/tv/2016/05/23/game-of-thrones-vs-history-which-real-characters-and-events-insp/ 

Methode #5: Der Lasso-Wurf!

In dieser Methode lässt man Figuren erst aus einer brenzligen, unschönen Situation entkommen, gibt LeserInnen ein Gefühl von Sicherheit und Beruhigung, nur um die Figur dann doch wieder in den Untergrund zu reißen. Im Grunde erlaubt man also den beteiligten Charakteren ein Stück weg von der Katastrophe zu laufen, nur um sie wieder — mit einem Handlungslasso — einfangen zu können. Es ist ein simpler Trick, der bereits bei der Dramentheorie von Aristoteles Verwendung fand und sich bis heute bewahrheitet. Hierdurch erleben LeserInnen in kürzester Zeit ein emotionales Chaos, das sie um so mehr rührt, aufwühlt und bewegt. 

Methode #6: Mache deine LeserInnen zu hilflosen Zeugen!

Diese Methode spielt insbesondere bei spannenden Filmen eine Rolle: man bekommt als Zuschauer gezeigt, wer der Mörder und wer die Hauptfigur des Films ist und auf einmal befindet sich der Protagonist oder die Protagonistin alleine mit dem Mörder in einem Raum, ohne dass die Figur weiß, wie gefährlich die Situation ist. Als Zuschauer wird man hierbei zum hilflosen Zeugen degradiert, der nur zu gerne rufen möchte, dass große Gefahr droht, aber man kann nicht. Man muss das Geschehene passieren lassen, ohne eine Möglichkeit, in die Handlung eingreifen und helfen zu können. Dieses Gefühl ist eines, das auch wir Autoren in unseren Büchern auslösen können! LeserInnen sollen kurz innehalten, ein leises “oh, nein!” ausatmen, weil sie genau erahnen, dass Unheil bevorsteht und sind dann gezwungen, immer weiter zu lesen, weil sie unbedingt wissen wollen, wie sich die Situation entwickelt. Geschicktes Streuen von Hinweisen, klare Charakterdarstellungen, Beschreibungen von düsteren Orten, die Inszenierung von Personenkonstellationen und Handlungsbahnen, die ihre katastrophalen Schatten vorauswerfen sind Komponenten, wie wir LeserInnen anschnallen und nicht mehr aus unseren Wortfängen lassen können. 

Methode #7: Der Dementor-Moment!

Wer die wundervolle Harry Potter-Reihe kennt, wird ein Bild vor Augen haben, was mit diesem Punkt gemeint ist. Für alle anderen: In den Büchern von J.K.Rowling sind Dementoren Wesen, die auftauchen und den Charakteren jegliche Lebensfreude entziehen. Sie erscheinen urplötzlich, kündigen sich kaum merklich an, abgesehen von einer plötzlichen Kälte, und hüllen die Welt für die jeweiligen Figuren in ein tristes Grau. Ähnliches sollten auch Autoren mit Figuren machen: um eine emotionale Wucht zu erzeugen, die Lesern wie auch den Charakteren den Boden unter den Füßen wegzieht, sollte man überraschende Kehrtwendungen/Storyentwicklungen gestalten, die mit nur einem einzigen Augenblick alles Positive rauben. Ob man hierbei zu einem plötzlichen Tod greift, eine fürchterliche Schreckensbotschaft auf eine glückliche Situation folgen lässt oder Charaktere mit der Lasso-Wurf-Methode erneut in eine gefährlich-schlimme Situation wirft, bleibt natürlich jedem selbst überlassen. Es geht einzig allein um diesen wunderbar-wirksamen Wechsel zwischen Freud und Leid, der, bei guter Ausarbeitung der Figuren und realistischen Handlungssträngen, bei LeserInnen zu großen Emotionen führen wird.

Warum sollte man LeserInnen emotional herausfordern?

Nachdem bereits das “Wie” erläutert wurde und es einige Anhaltspunkte gab, auf welche Arten und mit welchen Methoden man LeserInnen emotional greifen kann, soll nun eine kurze Auflistung erfolgen, die zeigen wird, warum die emotionale Wucht eines der wichtigsten Mittel ist, Leser an uns Autoren zu binden und gegebenenfalls sogar eine Form von Grundvertrauen zu schaffen:

Emotionale Wucht macht süchtig!

Wer bereits durch ein Buch beziehungsweise durch einen Autoren oder eine Autorin derart überwältigt wurde, dass man ein großes Spektrum der oben aufgeführten Emotionen empfand, wird sich dauerhaft daran erinnern und sich immer wieder in die Schreibhände dieses kreativen Kopfes begeben wollen. Es ist eine absolute Ausnahmeerscheinung, wenn man von einem Buch mitgerissen wird, es mehrere unserer Gefühlsrezeptoren gleichzeitig anspricht und stimuliert und das wiederum lässt LeserInnen positiv über den Autor/die Autorin denken. Wer einmal in den Genuss einer solch allumfassend emotionalen Reise kam, wird sich immer wieder daran erinnern und süchtig nach Nachschub sein.

Andere Bücher wirken banal!

Um dieses Argument zu verstehen, sei kurz ein Beispiel angeführt: Nehmen wir an, du gehst in ein Restaurant und dort gibt es dein absolutes Lieblingsessen und das in einer solch perfekten Ausführung, dass du kaum warten kannst, wieder zurückzukehren.Würdest du dich dann, nachdem du dein Lieblingsessen in hervorragender Form bekommen hast, dich noch mit Versionen 2. oder 3. Klasse arrangieren? Vielleicht mal, wenn der Hunger so stark ist. Aber generell wird es dich nach diesem Top-Restaurant verzehren und du wirst immer denken “ist ganz gut, aber nicht das beste Essen, was ich je hatte”. Gleiches passiert auch im Bereich der Bücher. Andere AutorInnen sind weiterhin gut, aber wer emotional richtig durchgerüttelt und tief berührt wurde, gibt sich nur selten mit den Werken zufrieden, die gerade mal an der emotionalen Oberfläche kratzen. So bindet man LeserInnen an sich!

Leseerlebnisse wirken nach!

Der wohl größte Vorteil, den das Schreiben mit einer emotionalen Wucht hat, findet sich in den Köpfen der LeserInnen selbst. Figuren, Handlungsstränge und Scheidewege der Geschichte werden in den LeserInnen weiterleben, die wiederum von den Charakteren und ihren Schicksalen nicht losgelassen werden, weil man mit ihnen zusammen auf diesen langen Weg ging, echte Emotionen nachempfinden konnte und es sich stellenweise so anfühlt, als hätte man sie selbst erlebt. Wer einige der oben aufgeführten Methoden benutzt und sich der Bandbreite möglicher Gefühle zu Nutzen macht, um tolle Charaktere und denkwürdige Momente zu erschaffen, wird sich und die eigenen Bücher im Gedächtnis der Bücher verankern. Und wer von uns Autoren kann sagen, dass das nicht die ultimative Belohnung für die vielen Bemühen und Anstrengungen während der Schreibprozesse ist? 

*(entnommen von: http://arbeitsblaetter.stangl-taller.at/EMOTION/)

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