Dieser Beitrag wird weder auf die zahlreichen wunderbaren Veranstaltungen, die tollen Begegnungen mit bücherliebenden Menschen und auch nicht auf die vielen kleinen Wehwehchen eingehen, über die man sich gerne bei so einer lauten, überfüllten Messe aufregt.

Stattdessen wird es darum gehen, wie eine Veranstaltungsleitung versagt hat. Wie sie den Schutz ihrer Besucher wissentlich und willentlich aufs Spiel setzte, um zu vertuschen, dass ihr Interesse an braunen Scheinen größer war als ihr moralisches Rückgrat. Es wird ebenso über Deckmäntel und Demokratie gesprochen werden wie über Toleranz und Truppenaufmärsche. Die Frankfurter Buchmesse wird ein Thema sein, aber nicht wegen ihrer Liebe zu Büchern, sondern wegen ihrer Skrupellosigkeit und Feigheit.

Dies ist kein Bericht über eine Messe — es ist eine Anklage.

 

Mein Herz hat noch nie so schnell geschlagen wie heute als ich mich, als Migrantin, bei der Ffm Buchmesse vor so vielen Nazis sah. […] Nazis. 2017 in einer Messe. Mit einem Messe Aufkleber “hot spot education” über ihren Köpfen. Sie redeten von dem „Migrantenmüll”. Plötzlich Schreie gegen die rechte Hetzer. Polizei schreitet ein und nimmt alle fest. Nazis freuen sich und fangen an zu schlagen. Nur Minuten davor standen wir draußen, [genossen] das schöne Wetter.Trafen viele Bekannten und plötzlich waren wir in ner Naziblase gelandet. […]

Bei dieser Schilderung handelt es sich nicht etwa um einen Auszug aus einem Roman aus dem Jahr 1933, wie Teile der Sätze und deren Intensität vermuten lassen, sondern um die Darstellung einer Besucherin der Frankfurter Buchmesse, die auf Twitter kund tat — hier nachzulesen  —, wie sie sich und vermutlich viele andere Menschen mit Migrationshintergrund fühlten. Wer aber Berichte von jüdischen Mitbürgern zur Zeit des NS-Regimes kennt, dem wird anhand der Worte in dieser Tweet-Kette zwangsläufig ein Déjà-vu-Schauer über den Rücken rennen: Nazi-Gruppen, die schreiend hetzen, andere Menschen als “Müll” bezeichnen, Schläge und Aggression auf der einen Seite, während Schockstarre und Furcht auf der anderen herrschte — alles schon einmal da gewesen. Zuletzt medial überaus präsent in Amerika, als Rassisten mit Fackeln durch Charlottesville liefen, für Chaos sorgten und Angst verbreiteten. Dieses Mal traf es nicht die fernen USA, sondern die nahe FFM-Buchmesse — und es hätte verhindert werden müssen.

 

Ausflüchte & Versagen

Die in den Tweets angesprochene Naziblase befand sich am und im Umkreis des rechten Antaios-Verlags (Halle 4.2), dem die Buchmesse-Leitung gestattete, seine Nazi-Zelte dort aufzuschlagen und es damit auch ermöglichte, seine Truppenaufmärsche durchzuführen. Dies hatte bereits im Vorfeld für reichlich Kritik gesorgt, da es für moralisch-lebende Menschen ein Widerspruch war und weiterhin ist, für Toleranz zu stehen, während man gleichzeitig das stark nach rechts kippende, trojanisch-menschenverachtende Pferd in seine Bücherburg lässt. Zahlreiche Stimmen erhoben sich, um vor der Gefahr und Inszenierung durch die Rechten zu warnen, insbesondere nach den letzten Wahlergebnissen und wachsendem Selbstbewusstsein jener, die bereits jetzt feuchte Träume besitzen, die offene Vielfalt und gelebte Toleranz müllpressengleich einzuengen, bis am Ende nicht einmal mehr die Ursprungsform zu erkennen ist.

Doch die Frankfurter Buchmesse ignorierte die Warnungen und Sorgen und offenbarte bereits ein erstes Mal, dass sie den restlichen Besuchern ihres Geländes keinerlei Hilfe oder Schutz anbieten würde. Sie entzog sich ihrer Verantwortung und versteckte sich hinter wertlosen PR-Erklärungen, man sehe sich als „neutraler Marktplatz“ und sie wählen „keine Inhalte und keine Verlage aus — weder ästhetisch, politisch noch moralisch” (Link). Übersetzt bedeutet dies nichts anderes als: es ist uns völlig gleichgültig, wer Geld in das Veranstaltungssparschwein wirft. Hauptsache es wird gemästet. Finanzielle Werte über moralische — gezeichnet, die Leitung der Buchmesse.

Eine weitere Ausflucht bestand darin, sich die Hände in Unschuldfloskeln zu waschen und unter dem nicht-endlosem Dach der Meinungsfreiheit feige in Deckung zu gehen, bevor man möglicherweise selbst so manchem Sturm ausgesetzt ist und handeln müsste. Großspurig verkündigte die Messe, durch ihren Marktplatz böte sich „die Freiheit des Andersdenkenden, seine Meinung kundzutun.“ Rassistisches Gedankengut ist jedoch keine Meinung. Nazi-Propaganda ist keine Meinung. Frauen Vergewaltigungen zu wünschen, weil sie Flüchtlingen helfen, ist keine Meinung. Andere Menschen aufgrund ihrer Hautfarbe, Sexualität oder Religionszugehörigkeit den Tod zu gönnen, ist keine Meinung.

Die Leitung der Messe hätte gutgetan, selbst mal ein Buch in die Hand zu nehmen, beispielsweise Der Name der Rose von Umberto Eco, in dessen Nachschrift steht: „Um tolerant zu sein, muss man die Grenzen dessen, was nicht tolerierbar ist, festlegen.” Möglicherweise hätten sie dann den Schneid besessen, sich gegen jene zu positionieren, die Toleranz so lange für sich fordern, bis sie selbst in der Lage sind, jene für andere abzuschaffen und unter Strafe zu stellen.

Es mag daran liegen, dass das Geklimper des Goldsacks der Buchmesse die Stimme des eigenen Gewissens übertönt hat, aber sie erlagen mit dieser fehlgeleiteten Akzeptanz rechten Gedankenguts der Rhetorik der Nazis, die jede ihrer Ansichten als freie Meinungsäußerung ansehen, nur um sich selbst und ihrem Hass eine Rechtmäßigkeit zu geben. Damit zeigt sich die Buchmesse nicht intelligenter als zu viele, die beispielsweise schoßhündchengleich die Betitelungswünsche übernehmen, die ihnen von den Nazis vorgegeben werden: In Amerika sind die Nazis jetzt „Alt-Right“, hier neurechts oder identitär. Aber seien wir ehrlich: Man kann vor einem Komposthaufen auch ein neues Schild hängen, so bleibt es trotzdem ein Haufen voll verrottenden Abfalls.

 

Lügenmesse?

Anstatt den Ratschlägen der Vernünftigen im Vorfeld zu folgen, die vor Eskalationen warnten und einen Triumphzug der Rechten durch eine ihrer typischen Opfer-Inszenierungen befürchteten, lief die Buchmesse der Marschrute nach, die von Rattenfängern und “Sieg-Heil”-Schreiern vorgegeben wurde: Akzeptiert uns, ihr müsst uns aushalten. 

Um dies nicht ganz so offensichtlich zu machen, gaben sie mir am 13.9. auf ihrem Social-Media-Account die Antwort (Link), dass keine Events geplant wären und lediglich 2 Bücher von 1278 aus diesem Umfeld stammen. Hierdurch sollte eine Relativierung des möglichen Dramas erfolgen und die Situation heruntergespielt werden. Schade ist natürlich, dass die Frankfurter Rundschau bereits am 12. 9. 2017 davon berichtet hat, dass Veranstaltungen der Rechten angekündigt wurden (Link). Drei Tage später (!) zitiert der Börsenverein die Kommunikationschefin der Messe, Katja Böhne, mit den Worten: „Es wird nicht zu Veranstaltungen kommen, bei denen Neonazis auftreten könnten. Veranstaltungen sind nur erlaubt, wenn ein Verlag eine Standfläche gebucht hat.” Erneut der verzweifelte Versuch, die Situation zu relativieren, denn natürlich gibt sie im Nachfolgesatz zu, dass der rechte Antaios-Verlag (Halle 4.2) sehr wohl eine Standfläche hat und deswegen Veranstaltungen abhalten kann. Eine Farce à la FBM.

Auch die zweite Aussage entsprach nicht der Wahrheit. Es gab nicht nur 2 Bücher aus dem rechten Umfeld. Hierzu reicht alleine der Blick auf ein Bild des Antaios-Verlags (Link), auf dem mindestens ein Dutzend Bücher zu sehen sind und da sind andere rechte Verlage mit ihren Büchern nicht einmal integriert.

 

Arena statt Verantwortung

Damit die Messe aber nicht völlig tatenlos dasteht und vor allem weil die Kritik im Vorfeld immer lauter und vielflächiger wurde, vermeldete man dann kurze Zeit darauf, dass man sich den ganz großen Coup überlegt hatte: Man positionierte die sich gegen Rassismus und Rechtsextremismus einsetzende Amadeu Antonio Stiftung in unmittelbarer Nähe — keine 3m entfernt. Hierdurch gab man vor, den Dialog zwischen beiden Parteien fördern zu wollen. Es ist ja einhellig bekannt, wie sehr Nazis an einem friedlichen Dialog interessiert sind.

Die Wahrheit hinter dieser grandiosen Idee ist jedoch eine andere: es war erneut der feige Versuch, sich selbst aus der Verantwortung zu ziehen. Man erschuf eine Arena, in der sich die zwei Streitparteien — Menschenverachter und Menschenschützer — doch bitte einen eigenständigen Diskurs führen sollen, damit die Messeleitung keinerlei Probleme mehr durch den unliebsamen Faktor besitzt, dass sie Nazis den roten Teppich ausrollten.

Ohne Rücksicht auf die mögliche Gefahr von Übergriffen, aggressiven Aufeinandertreffen und der Bedrohung der Besucher der Buchmesse — unter ihnen selbstverständlich auch Kinder, Rentner und Mitbürger mit Migrationshintergrund — hat die Messeleitung entschieden, einen Krisenherd inmitten der völlig überfüllten Messe und viel zu engen Gänge zu eröffnen, ohne ausreichend Sicherheitspersonal zu bemühen. Das war aber sowieso viel zu sehr damit beschäftigt, aus reiner Schikane Pressevertreter festzuhalten und ihnen die Glaubwürdigkeit abzusprechen, wie hier nachzulesen ist: Link.

Worin diese unverantwortliche Skrupellosigkeit der Messe gipfelte, war dann am Buchmessen-Samstag in allen einschlägigen Medienportalen und sozialen Kanälen zu sehen. Auch das Zitat zu Beginn dieses Beitrags stammt von eben jenem Vorfall. Angst verbreitete sich ebenso wie die Sorge, ob die Messe noch sicher ist. Schnell sah man in den sozialen Netzwerken den Umschwung, am nächsten Tag nicht mit den Kindern zur Messe zu kommen, weil es zu gefährlich sein könnte.

Glückwunsch, FBM, euer feiges, moralloses Verhalten im Vorfeld und euer planerisches Versagen hat dafür gesorgt, dass die Messe — ein geschützter Ort der Bücherliebe — einen derart dunkelbraunen Fleck auf seiner angeblich so weißen Weste erhält.

 

Glück im Nazi-Unglück?

Dabei war der Ablauf — und man mag es kaum aussprechen — noch ein glimpfliches Szenario, so erschreckend und furchtbar es war: Bevor die Messe begann, wurde die Öffentlichkeit informiert, dass strengere Taschenkontrollen durchgeführt werden würden. Dies geschah vermutlich aus Angst vor möglichen Anschlägen von islamistischen Extremisten, was ein wenig abstrus erscheint, wo man doch rechtsradikalen Extremisten die Füße küsst. Aber vielleicht trägt die FBM einfach ein vergoldetes rechtes Auge und sieht deswegen die Absurdität nicht.

Diese Taschenkontrollen entpuppten sich dann jedoch als ein Witz, wenn sie denn stattfanden: Taschen/Rucksäcke/Koffer wurden geöffnet, man warf einen schnellen Blick rein, Laptoptaschen wurden kurz nach vorne und hinten geschoben und schon war man auf dem Gelände — da sind selbst die Kontrollen im Fußballstadion ein Vielfaches genauer.

Wer nun wirklich hätte Waffen mitbringen wollen, hätte dies ohne Probleme gekonnt: Hosentaschen, Jackentaschen oder sonstige Verstecke am Körper wurden alle nicht kontrolliert. Es wäre also bei dieser hochexplosiven Stimmung in der Halle 4.2 durchaus denkbar gewesen, dass jemand auf einmal ein Messer, Schlagstock oder Schlagring auspackt.

Dies ist glücklicherweise nicht geschehen; wer weiß aber, wie es im nächsten Jahr aussieht? Die Messe war nicht willens, ihre Besucher an einem solchen Publikumstag zu schützen und signalisierte auch keine Reue darüber, daher ist eine Veränderung des bisherigen Verhaltens wenig wahrscheinlich. Zusätzlich sei einmal gefragt: Wer wird im kommenden Jahr verhindern , dass die ganze Nazi-Truppe in andere Hallen marschiert, beispielsweise in die der internationalen Verlage und dort gegen jene hetzt, die von der Literatur in ihren Ländern berichten wollen? Wer verhindert gezielte und koordinierte PR-Provokationen in anderen Hallen, für die sich die Leute mit den Hakenkreuzen statt Herzen dann über Wochen hinweg feiern können? Bereits jetzt sehen sich die Rechten als Sieger dieser Auseinandersetzung, weil sie machen durften, was sie wollten und die Messe ihnen nichts entgegensetzte.

 

Die Trump’sche Messeleitung

Nachdem der Tumult sich auf der Messe langsam legte und in den sozialen Medien erst richtig hochkochte, sodass selbst große Portale wie Focus, Spiegel & Co auf den Vorfall aufmerksam wurden, wartete man gespannt auf die Erklärung der Frankfurter Buchmesse, wie sie die Vorfälle sah, jene Erlebnisse erklärte und einordnete, sowie offenbart, warum sie die Besucher derart im Stich ließen. Was dann jedoch folgte, war eine niveaulose Schande, die der Buchmesse in hundertfacher Form zurecht direkt wieder um die Ohren flog. Eine Skrupellosigkeit und Aversion gegen jegliche moralischen Werte — die Trumpisierung der Buchmesse eben.

Anstatt eigene Fehler einzugestehen und sich dafür zu entschuldigen, dass sie diesen Konflikt nicht nur billigend in Kauf genommen, sondern durch eigenes Fehlverhalten noch aktiv befeuert haben, gibt die Messe beiden Seiten die Schuld (Link). Für sie sind es linke und rechte Gruppierungen, die sich als problematisch herausstellten und belässt es dabei. Ähnlich wie Trump bei den fackeltragenden Rassisten in Charlottesville verkündete, dass beide Seiten gute Menschen hätten, schieben Juergen Boos (Direktor der Frankfurter Buchmesse) und Alexander Skipis (Hauptgeschäftsführer des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels) die Schuld sowohl zu jenen, die gegen menschenverachtende Werte stehen, als auch zu denen, die rechtes Gedankengut propagieren und von “Migrantenmüll” sprechen. Sie selbst sind natürlich schuldlos. Eine erschreckende Sichtweise, die nicht überrascht, wenn man sich das bisherige Verhalten der Buchmesse betrachtet.

Auf die Spitze treiben sie es dann aber, als sie sich selbst als Helden inszenieren, die Gewalt „als Mittel der Auseinandersetzung nicht zulassen.“ Dass es gerade erst zu Gewalt auf ihrer Messe kam, ignorieren sie dabei ebenso wissentlich wie ihre direkte Verantwortung für die Vorfälle. Die Leitung der Frankfurter Buchmesse und Börsenvereins des Deutschen Buchhandels— die großen Verteidiger des offenen, friedlichen Diskurses eben.

Wie frei der Dialog stattfinden konnte und wie wunderbar diskursfreundlich sich die Nazis verhielten, kann man übrigens in dem folgenden Video sehen, in dem der eben angesprochene Direktor Juergen Boos hilflos wie ein kleiner Schuljunge auf der Bühne steht, während ihm von den Rechten das Megafon entrissen wird:

Boos wollte die Veranstaltung beenden, aber hat man sich erst einmal die Nazis ins Haus eingeladen und ihnen gestattet, ihre Propaganda zu inszenieren, entscheiden die selbst, wann sie denn wieder gehen.

 

Fazit

Nazi-Aufmärsche. Handgemenge. Drohungen. Verängstigte Migranten. Schockierte Besucher. Besorgte Eltern. Unschuldsraub.

Das ist eine Seite des Fazits der Frankfurter braunen Messe 2017.

Natürlich gab es auch viele fantastische, Euphorie-verursachende Dinge an dieser Messe. Doch von diesen guten Seiten, berichten bereits genug Menschen. Dieser Beitrag ergründete das ablehnenswerte Verhalten einer Messe-Leitung, die den freiheitsbedrohenden Gruppen so viel Freiraum schenkte, dass sie ihre literarische Titanic gegen den eisigen Toleranzberg krachte.

Eines steht nach der reuelosen Pressemitteilung bedauerlicherweise auch bereits fest: Im nächsten Jahr wird wieder der rechte Rubel in die hungrigen und Geldquellen-toleranten Taschen der Frankfurter Buchmesse rollen. Lässt sich nur hoffen, dass die Verantwortlichen sich davon neben Werbung, Mitarbeitern auch ein Gewissen und moralisches Rückgrat leisten können.

In diesem Jahr wurde daran deutlich gespart.

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