Im heutigen Beitrag möchte ich mich einer der größeren Herausforderungen widmen, denen man sich als Autor oder Autorin stellen kann: eine böse Figur zu erschaffen. Auf den ersten Blick mag dies sehr leicht wirken, aber es gehört mehr dazu, als einen Charakter nur böse Dinge tun zu lassen. Antagonisten brauchen ebenso viel Planungszeit und Hintergedanken wie die der Hauptfigur(en) selbst und dieser Blogbeitrag wird zeigen, welche Stellschrauben es gibt und welche Wege man gehen kann, um einen überzeugenden Bösewicht beziehungsweise Antagonisten zu konstruieren.
Ich wünsche viel Spaß!
Lord Voldemort, Darth Vader, der Joker, Hannibal Lector, Annie Wilkes, der Clown aus ES – Sie alle faszinierten uns und ängstigen uns zu gleich. Keinem von ihnen möchte man liebend gerne mitten in der Nacht auf einer verlassenen Straße begegnen, man würde wohl lieber die Straßenseite wechseln und bei jedem Anzeichen von Gefahr die Beine in die Hand nehmen, um nach Hause zu rennen. Sie alle sind bösartig — genau deswegen begeistern sie uns.
Sie sind die Antagonisten und Fieslinge in ihren eigenen Universen und haben uns beigebracht, dass es längst nicht ausreicht, eine wunderbar ausgeklügelte Hauptfigur zu haben, sondern auch die Gegenspieler brauchen genug Spielraum innerhalb der Geschichte, um ihre volle Wirkung entfalten zu können. Nur wenn die Gegenspieler auf Augenhöhe mit den Helden sind, kann man wirklich mitfiebern und entwickelt wahre Emotionen. In den folgenden 3 Abschnitten wird aufgezeigt, welche Möglichkeiten man als AutorIn besitzt, um Boshaftigkeit äußerlich darzustellen, wie man solche Charaktere innerlich konstruieren kann und wie man die Motivation hinter ihrem Verhalten begründen kann.
Jeder dieser Schritte steht im Grunde für sich und man kann sie untereinander tauschen, je nach persönlicher Präferenz, für diesen Blogbeitrag sind sie aber bewusst so gewählt, um sich von außen immer weiter zum Kern vorzuarbeiten. Gleichermaßen sei darauf hingewiesen, dass ein Bösewicht und Antagonist natürlich zwei nicht gänzliche deckungsgleiche Dinge meinen, aber von ihrem Grundaufbau sehr ähnlich funktionieren. Aus diesem Grund werden Sie im Folgenden als Synonym benutzt.
SCHRITT 1: Äußerer Aufbau
In diesem ersten Schritt geht es darum, eine grobe äußere Struktur des bösartigen Charakters zu zeichnen. Dabei wurden drei Bereiche ausgewählt, an denen man bereits verdeutlichen kann, dass es sich bei der Figur um keine positive handelt. Man stelle sich hierfür am besten vor, man würde mit einer Kamera auf sie halten und LeserInnen würden zu Zuschauern, die erste Eindrücke des Charakters durch eben jene optische Mittel bekommen sollen.
– Aussehen: Einerseits besteht hier die Möglichkeit, der Figur optische Merkmale zu geben, die den Charakter bedrohlicher wirken lassen wie zum Beispiel eine beeindruckende Statur, Gangtattoos, ein besonderer Kleidungsstil, Narben, eine auffällige Frisur usw. Wichtig ist, dem Charakter eine unmittelbare Präsenz zu geben, sodass die anderen Figuren — und damit auch LeserInnen — den Charakter unmittelbar als negativ identifizieren können. Andererseits kann man die Boshaftigkeit auch verstecken und nur in besonderen Momenten auftreten lassen, sodass ein besonderes Aussehen nicht von Nöten wäre, abgesehen von ein oder zwei minimalen Eigenschaften. Insbesondere bei spannenden Büchern, bei denen man als LeserIn ebenfalls raten soll, wer z.B. jemanden ermordet hat, kann es helfen, die Figur als relativ normal darzustellen und sie so in der Masse untergehen zu lassen. Beide Varianten sind völlig legitim.
– Stimme/Wortwahl: Es gibt wenige fiese Figuren, die mit einer weinerlichen Piepsstimme agieren und sich Kindersprache bedienen, von daher sind die Möglichkeiten in diesem Fall eher begrenzt: entweder man fokussiert sich auf eine starke, kratzige, harte, laute Stimme oder lässt die Figur auch hier eher unauffällig wirken. Bei der Wortwahl verhält es sich anders: hier besitzt man den Freiraum, die böse Figur fluchend darzustellen, sie aggressiv sprechen zu lassen, sie beleidigende Kommentare abzugeben und ihr — falls nötig — auch einen eher harten Sprachduktus zu geben. An dieser Stelle kann es helfen, den bösartigen Charakter deutlich als Kontrast zur Hauptfigur zu konstruieren, um die Bedrohlichkeit noch mehr hervorzuheben.
– Mimik/Gestik: Grimmig schauen, zusammengekniffene Augen, kalter Blick, aggressiver Gesichtsausdruck, zusammengepresste Zähne, drohende Körperhaltung, den inneren Hass und Wahnsinn nach außen kehren — all das sind Varianten, wie man eine Figur als böse darstellen kann. Es wäre an dieser Stelle hilfreich, sich Filme in Erinnerung zu rufen, in denen gute Antagonisten vorkamen und sich zu verinnerlichen, woran man selbst merkte, dass diese Figur eine böse ist. Das dient der Inspiration, wie man eigene Charaktere ein optisches Profil gibt.
SCHRITT 2: Innere Struktur
Nachdem im vorherigen Schritt aufgezeigt wurde, wie man Bösartigkeit optisch darstellen kann und es offensichtlich wurde, wie viele unterschiedliche Stellschrauben man als AutorIn besitzt, um die Hülle eines Antagonisten zu formen, fehlt noch die innere Struktur. Hierbei hat man die Wahl zwischen 4 unterschiedlichen Wegen, die — sehr wichtig — aber auch situationsabhängig ineinander über gehen können.
Wie im Märchen!
Märchen gelten heutzutage als Stoffe für ein eher jüngeres Publikum und wenn man sich die alten Geschichten der Gebrüder Grimm ansieht, ist auch klar warum: Charaktere zeichnen sich durch eine sehr klar Struktur aus, es ist auf den ersten Blick sofort zu erkennen, wer der böse Charakter ist, die Motive solcher Figuren werden kaum erläutert und sie sind einfach nur die bösen Gegenspieler zu den Helden. Den Grund für diese limitierte Reflexion über die eigenen Taten der Bösewichte findet man in den Intentionen von Märchen: sie sind moralische Wegweiser und sollen insbesondere jungen Menschen deutlich aufzeigen, welches Verhalten sie gut und welches sie schlecht finden sollen. AutorInnen, die ihre Bösewichte nach diesem Muster formen wollen, sollten darauf achten, dass sowohl die Optik als auch das Verhalten gegenüber anderen Figuren stets negativ ist, sodass nie ein Zweifel an der Bösartigkeit bestehen kann, wodurch auch eine Reflexion, ob sie böse sind, nicht mehr nötig ist.
Beispiele: Die Stiefmutter (Aschenputtel/Cinderella), Shan-Yu (Mulan), Cruella De Vil (101 Dalmatiner), Shir Khan (Das Dschungelbuch), Mr. Hyde (Dr. Jekyll and Mr. Hyde), Sauron (Herr der Ringe), Dolores Umbridge (Harry Potter), Freddy Krueger (Nightmare on Elm Street)
Die gerade Linie
Bei dieser Methode ist es von essentieller Bedeutung, dass man einen Antagonisten erschafft, der sehr zielorientiert ist. Die Figur zeigt kaum andere Gefühlsregungen, verkörpert und lebt seine Bösartigkeit voll aus, muss aber — im Gegensatz zum vorherigen Weg — nicht auch optisch klar definiert werden. Ein weiterer Unterschied: hier ist die böse Figur sich völlig im Klaren darüber, dass sie moralisch abzulehnende Dinge tut und lässt sich nicht abbringen. Sie ist ein sehr eindimensionaler, geradliniger Charakter, dessen einzige Funktion es ist, böse zu sein, aber dennoch genug Selbstverständnis besitzt, um über die eigenen Wünsche und Handlungen reflektieren zu können.
Beispiele: Lord Voldemort (Harry Potter), Hans Gruber (Stirb Langsam), Darth Vader (Star Wars), Agent Smith (Matrix), Moriarty (Sherlock Holmes), Amon Goeth (Schindlers Liste), Biff Tannen (Zurück in die Zukunft)
Der dreidimensionale-Weg
Hierbei handelt es sich um eine etwas kompliziertere Variante, da sie erfordert, dem Bösewicht einen plastischen, echten und vielschichtigen Charakter zu geben. Die Figur wirkt real, weil sie mehrere emotionale Stufen besitzt, nicht ausschließlich böse ist, sondern auch noch andere Seiten zeigen kann. Das Bösartige dringt nur immer wieder aus der Figur hervor, gerne auch gegen den Willen des Charakters. Insgesamt kein leichtes Unterfangen, einen Antagonisten zu erschaffen, der LeserInnen auf unterschiedlichen Ebenen abholt, aber gerade das macht die Figur dann so memorabel und faszinierend. Bei diesem Weg sollte beachtet werden, dass man den Bösewicht ebenso viel Raum zur Entfaltung wie dem Protagonisten gibt, damit man ein Duell auf (emotionaler) Augenhöhe hat. Beide Charaktere müssen ähnlich gut ausgearbeitet sein und LeserInnen müssen die Stärken, Schwächen, Wünsche, Ideale und Motive von beiden Seiten gezeigt werden. Der äußere Aufbau der Figur darf die innere Struktur gerne unterstützen, muss es aber nicht. Auch optisch unauffällige Antagonisten, die charakterlich deutlich und vielseitig definiert sind, wären bei dieser Methode möglich.
Beispiele: Der Joker (The Dark Knight), Hannibal Lector (Das Schweigen der Lämmer), Jack Torrance (Shining), Annie Wilkes (Misery), Hans Landa (Inglorious Bastards), Patrick Bateman (American Psycho), Graf Dracula (Bram Stoker), Norman Bates (Psycho)
Umgekehrtes Ying & Yang
Diese Möglichkeit vereinigt die drei vorherigen in sich und macht daraus etwas völlig Neues: Im Kern geht es darum, dass man einen Haupthelden beziehungsweise eine Hauptheldin konstruiert und den Antagonisten zum genauen Gegenstück formt. Bei Ying und Yang gibt es zwei Seiten, die perfekt zueinander passen und so Harmonie fördern; in dem umgekehrten Falle dieser Methode soll jedoch genau das Gegenteil passieren: Aufgrund der visuellen, moralischen, emotionalen, sozio-kulturellen, geschlechtlichen, sexuellen und/oder intellektuellen Gegensätze kommt es zu Reibereien und Antipathien zwischen den Figuren, die sogar in einer Feindschaft gipfeln kann. Dabei ist es unerheblich, ob der böse Charakter über sich selbst reflektiert, eindimensional oder dreidimensional ist, es ist nur das kontrastive Verhältnis zur eigentlichen (positiven) Hauptfigur von Bedeutung. Das Böse beziehungsweise der Antagonist wird durch die Gegensätzlichkeit zum Protagonisten definiert.
Beispiele: Draco Malfoy, Stiefschwestern (Aschenputtel/Cinderella), Scar (König der Löwen), Cobra Kai Sensei (Karate Kid), Saruman (Herr der Ringe), Grinch (The Grinch), Calvin Candie (Django Unchained)
SCHRITT 3: Wodurch wurde die Figur zum Bösewicht/Antagonist?
Einen großen Fehler muss man an dieser Stelle direkt vermeiden: kein Mensch und somit auch kein Charakter ist grundlos bösartig oder gemein. Es gibt in jedem Fall immer Gründe, die eine Person vom normalen, moralisch korrekten Verhalten derart weit weggetrieben haben und diese gilt es auch in Büchern zu verewigen. Hierbei kann man drei Kategorien ausmachen, in die sich, soweit angegeben und erläutert, auch alle oben genannten Beispiele zuordnen lassen würden.
Dunkle Macht
Der wohl am einfachsten zu erklärende Basis für böses Verhalten: eine dunkle Macht hat von der Figur Besitz ergriffen, seien es übernatürliche Mächte, Krankheiten oder geistiger Wahnsinn. In diese Kategorie fallen alle Charaktere, die kaum mehr rational agieren, die Kontrolle (immer mal wieder) verlieren und sich selbst nicht mehr im Griff haben. Eine Figur von vornherein, also früh in der Geschichte, als durchgeknallt, wahnsinnig, exzessiv und auf Basis dessen als gewissenlos darzustellen, sollte nicht schwierig sein, da Horrorfilme und Thriller viel Inspiration hierfür bieten. Wesentlich schwieriger ist es allerdings, diese Übernahme durch die “dunkle Macht” als einen schleichenden Prozess zu integrieren.
Hierbei ist es sehr ratsam, sich bestimmte Veränderungen in der Stimmung, den Interaktionen mit anderen, den Reaktionen auf Nachrichten oder Situationen zu notieren und die Figur von einer normalen Basis heraus, immer durchgedrehter/düsterer und damit unberechenbarer werden zu lassen. Diese Schritte kann man hervorragend planen und sich selbst einen Charakterbogen erstellen, wie sich die Figur am Anfang, in der Mitte und am Ende der Geschichte verhalten hat.
Beispiele: Jack Torrance (Shining), Annie Wilkes (Misery), Hannibal Lector (Schweigen der Lämmer), Joker (Batman), Lord Voldemort (Harry Potter)
2-Seiten-Prinzip
Die einleuchtendste Begründung dafür, vom rechten Weg abzukommen und in die Rolle des Gegners/der Gegnerin abzudriften, liegt in unterschiedlichen Vorstellungen von Moral und Gerechtigkeit. Die Figur, die für die Geschichte zum Antagonisten oder Bösewicht auserkoren wurde, ist anders sozialisiert worden als die Hauptfigur und somit unterscheiden sich die Ideale und Ziele beider sehr stark. Erneut spielt eine Rolle, dass sie im Grunde auf zwei völlig unterschiedlichen Seiten stehen und die Differenzen zwischen beiden so groß sind, sodass eine Annäherung kaum möglich erscheint. Die Charaktere sind schlichtweg zu verschieden, um miteinander auszukommen und daher geraten sie immer wieder aneinander. Die Boshaftigkeit beziehungsweise die Rolle des Gegners ergibt sich daher aus der Vergangenheit und dem unterschiedlichen Heranwachsen, das dafür gesorgt hat, dass die Figur an einem völlig anderen Ende der Werteskala steht als der eigentliche Hauptheld/Hauptheldin.
Beispiele: Stiefschwestern vs. Aschenputtel, Joker vs. Batman, Draco Malfoy vs. Harry Potter oder auch Calvin Candie vs. Dr. King Schultz (Django Unchained)
Weg des Verständnisses
Folgt man dem Ausgangsgedanken, dass negatives oder gar bösartiges Handeln nicht grundlos geschieht, kommt man zwangsläufig an einen Punkt, an dem man bestimmte Taten logisch nachvollziehen, vielleicht sogar nachempfinden kann. Als Autoren steht es uns völlig frei, die Hintergrundgeschichte eines Charakters so zu formen, wie wir es für richtig halten und gerade bei Bösewichten und Antagonisten bietet sich hierbei eine Vielfalt an Möglichkeiten, die als Wurzel für spätere Schandtaten herhalten können: furchtbare Kindheit, Drogen/Gewalt in der Familie, Missbrauch, Zugehörigkeit zu einer Gang, sehr schlechtes soziales Umfeld, Gefängnis, traumatische Erlebnisse etc. Insgesamt geht es bei diesem Weg darum, dass LeserInnen eine gewisse Form von Verständnis für die Aktionen der negativ besetzten Figur entwickeln, sodass sie möglicherweise sogar in den Zwiespalt geraten, die Taten der Person weniger schlimm zu finden oder nicht mehr genau wissen, welcher Figur sie die Daumen drücken sollen. Hier kann man das Moralverständnis der LeserInnen wunderbar herausfordern, ein wenig Unsicherheit streuen und sie auf falsche Fährten führen. Man sollte sich aber darüber bewusst sein, dass man das Böse in der Geschichte hiermit etwas menschlicher gestaltet und eventuell etwas Strahlungskraft einbüßen kann. Beschreibt man beispielsweise einen Jungen, der in der Schule gerne andere Kinder verprügelt, weckt das gewisse Emotionen bei LeserInnen. Erklärt man aber, dass dieser Junge daheim von betrunkenen Eltern ebenfalls geschlagen wird und die Wut rauslassen will, dann färben sich die Handlungen. Sicherlich kein leichter Weg, den man als AutorIn beschreiten kann, aber er wäre wichtig, um den Charakter vielschichtig zu zeichnen und die Grundlage für charakterliche Wandlungen zu schaffen.
Beispiele: Grinch (The Grinch), Biff Tannen (Zurück in die Zukunft), Mr. Freeze (Batman), Maleficient, Frankensteins Monster (Frankenstein), Phantom (Phantom der Oper)
Wenn man schlussendlich alle diese drei Schritte durchlaufen und sich auf Basis der eigenen Vorlieben und Zwecke innerhalb der Geschichte für bestimmte Varianten entschieden hat, kann man sicher sein, einen überzeugenden Charakter erschaffen zu haben. Dabei ist es ebenso legitim, sich nur bei 1-2 Kategorieren zu bedienen, wie wirklich jeden einzelnen Schritt bis ins kleinste Detail zu durchlaufen. Wichtig ist lediglich, dass man sich der vielen Optionen bewusst ist und ebenfalls im Hinterkopf behält, dass man alle der aufgeführten Stellschrauben untereinander — auch situationsbedingt — miteinander mischen kann, sodass die Grenzen zwischen den einzelnen Einteilungen keineswegs statisch, sondern fließend sind.
Letztendlich haben wir Autoren die Geschicke unserer Figuren in der Hand und daher werden immer persönliche Präferenzen entscheiden. Man sollte sich nur einmal das ganze Schreibbuffet anschauen, bevor man zugreift, sonst ärgert man sich hinterher, dass man viel bessere Optionen hat liegen lassen.
Photo: https://pixabay.com/de/darth-vader-star-wars-geek-1207142/
CC0 Public Domain von Voltordu