Eine schauerlich-meisterliche Reise

 

 

Grundgedanken & Prota

Nachdem sich der Autor mit seinem Roman “Der Schatten des Windes” bereits weltweite und vor allem verdiente Schulterklopfer erarbeitet hat, entführt er den Leser in Marina erneut nach Barcelona.

Dieses Mal jedoch geht es um eine Geschichte, die vom Klappentext mysteriöser kaum angedeutet werden kann. Eine junge Frau, die, ebenso wie der Rest ihrer Familie, ein Geheimnis bürgt, entführt die Hauptfigur in eine Welt voller düsterer Erlebnisse, die den Protagonisten immer weiter von der Welt seines bisherigen Alltags in die dunkle Welt der Vergangenheit treibt, in der mehr aufzuklären ist, als nur ein Mordfall und das mysteriöse Geheimnis, das in den Schatten der Stadt lauert.

Der Protagonist dieses Romans ist ein junger Internatsschüler namens Oscar Drai, der dem Leser mit großer Sympathie vorgestellt wird. Er ist kein Held, eher ein Träumer, der sich um Orientierung in der Welt bemüht und noch nicht wirklich seinen Platz in eben jener gefunden zu haben. Ein neugieriger, aufgeweckter und zum Teil schüchterner junger Mann, der die teilweise gruseligen, gespenstischen, aber in jedem Fall fesselnden einzelnen Schritte der Handlung ebenso mit einem Gefühl von Interesse erlebt wie der Leser. Oscar reagiert zu jedem Zeitpunkt plausibel und wächst einem durch seine charakterliche Vielfalt und seine zurückhaltende Art schnell ans Herz.

Struktur & Fokus

Der Aufbau dieses Romans ist nicht linear und gerade das bringt eine gewisse Faszination mit sich. Zwar verfügt stets ein unbeteiligter Erzähler über die Kontrolle der Handlung, der dem Protagonisten Oscar die meiste Zeit über folgt und die Hauptgeschichte stets weiter vorantreibt, aber es gibt auch zahlreiche Unterbrechungen durch andere Figuren. In solchen Kapiteln stehen dann die neu aufgetretenen Figuren im Vordergrund und bekommen ausufernd viel Raum, um ihre eigene Geschichte zu erzählen. Hierbei ist der Wechsel der Figuren stets filmisch angeordnet, als würde man eine Rückblende einer anderen Person geliefert bekommen, um die Hintergrund ihrer Taten und auch ihre Relevanz für das große Mysterium begreifen zu können.

Sprache

Der Sprache dieses Romans merkt man ihren Feinschliff an. Sie ist emotional ergreifend, poetisch verzaubernd und gleichzeitig an vielen Stellen leicht genug, dass sie den Leser durch die Geschehnisse ohne große Mühen trägt. Gleichzeitig ist sie aber auch von einer besonderen Zärtlichkeit, die manches Mal distanziert erscheinen mag, aber niemals die Haftung zum Boden der Erzählung oder zu den Figuren verliert. Ruiz Zafon hat auch in diesem Roman wieder seine typische Verflechtung von nur angedeuteten Beschreibungen von Räumen verwoben mit den begeisternden Charakterstudien und Interaktionen, die zwar punktuell gesetzt sind, aber dafür den Lesefluss deutlich steigern. Marina ist ein sprachlicher Augenschmaus, der nicht zu prätentiös daherkommt, sondern genau den richtigen Weg findet, die eigene Genialität zu zeigen, aber nicht damit hausieren zu gehen.

Lesegefühl

Von der ersten Seite an entfaltet Marina eine außerordentliche Sogwirkung. Zu Beginn wird sie vor allem durch die hervorragende Sprache erzeugt, die das Gefühl vermittelt, einen wahren Hochkaräter in der Hand zu halten, doch je mehr die Hauptfigur dieses Werkes in Erscheinung tritt, umso mehr ergibt sich eine fesselnde Synergie.

Die Geschichte des Oscar Drai und seinen Erlebnissen mit Marina, ihrem Vater und dem Mysterium um den sagenumwobenen Mordfall ist wunderbar erzählt, vielschichtig und zu keinem Zeitpunkt langweilig. Im Gegenteil: man wird sich dabei ertappen, wie man mit einem Funken Wehmut auf die ständig steigende Seitenzahl blickt und sich wünscht, der Roman würde sich selbst verlängern, damit man mehr Zeit mit den Figuren verbringen könnte.

Es ist wahrlich ein großes Werk, das keinerlei Schwächen besitzt. Dies ist vor allem vor dem Hintergrund erstaunlich, dass Zafon in diesem Roman eine eher düstere und schaurige Welt zeichnet, die vorher nicht in jener Form in seinem Barcelona aufgetreten ist. Der Roman bekommt mit fortlaufender Dauer einen Schwenk vom Realismus hin zum Phantastischen und auch wenn diese Entwicklung sicher nicht jedem Leser gefallen wird, ist sie doch schlüssig genug und verläuft nicht plötzlich konträr zum vorherigen Teil. Man muss Zafon an dieser Stelle für seinen Mut loben, diesen Weg eingeschlagen zu haben, denn bei dem Aufbau, den er in den ersten 200-250 Seiten benutzt hat, blieb fast nur noch ein übernatürliches Szenario übrig und der Autor sträubte sich keineswegs davor, genau jenes auch zu liefern, selbst wenn es dem anscheinenden Anspruch eine Geschichte auf poetische Weise zu erzählen, höchstes Können erfordert. Carlos Ruiz Zafon spielt mit der Erwartungshaltung und den Genregrenzen, wandert spiellos hin — und zurück — und verliert dennoch nie sein Ziel, sowie seine Charaktere auseinander. Grandios!

Bewertung 5/5

Buchdetails

Taschenbuch: 349 Seiten

Verlag: Fischer (14. November 2012)

Sprache: Deutsch

ISBN-10: 3596186242

ISBN-13: 978-3596186242

Originaltitel: Marina

Größe und/oder Gewicht: 12,4 x 1,8 x 18,8 cm

Klapptentext: „»Wir alle haben im Dachgeschoss der Seele ein Geheimnis unter Verschluss. Das hier ist das meine.« So beginnt Óscar Drai seine Erzählung. Der junge Held des Romans sehnt sich danach, am Leben Barcelonas teilzuhaben, und streift am liebsten durch die verwunschenen Villenviertel der Stadt. Eines Tages trifft er auf ein faszinierendes Mädchen. Sie heißt Marina, und sie wird sein Leben für immer verändern.
Gemeinsam werden die beiden in das düstere Geheimnis um den ehemals reichsten Mann Barcelonas gesogen. Schmerz und Trauer, Wut und Größenwahn reißen sie mit sich, eine höllische Verbindung von vernichtender Kraft. Aber auch Marina umgibt ein Geheimnis. Als Óscar schließlich dahinterkommt, ist es das jähe Ende seiner Jugend.”

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