Von Irrwegen und Identitätskrisen
Grundgedanken & Prota
Das Grundsetting ist leicht erklärt: Moriguchi, eine Lehrerin, steht vor einer Klasse und offenbart dieser, dass ihre Tochter vor einiger Zeit nicht aufgrund eines Unfalls gestorben ist, sondern zwei anwesende Schüler für diese Tat die Verantwortung tragen. Dies setzt dann den Startschuss zu einem Handlungspuzzle aus unterschiedlichen Perspektiven, dem Wunsch nach Rache, dem voyeuristischen Eindringen in die Privatsphären und Gedankenwelten einiger Figuren und der treibenden Frage nach der Schuld.
Geständnisse wäre hierbei gerne vieles auf einmal: tiefenpsychologischer Roman über die Beweg- und Abgründe einzelner Figuren, Thriller mit schockierenden Wendungen, Familiendrama aus dessen Zerrüttung Leid entsteht und dazu noch ein an Perversion grenzender Rachefeldzug. Alle diese Dinge werden mehr schlecht als recht miteinander vermischt, ohne dass es bei diesem experimentierfreudigen Genremix eine der dreingegebenen Zutaten wirklich erfüllend gestaltet ist.
Leider bemerkt man schnell, dass dieser Roman an seinem Streben erstickt, etwas Besonderes zu sein und dabei nicht nur auf inhaltlicher, sondern auch auf erzählerischer Ebene Elemente miteinander vermengt, die als Gedankenkonstrukt spannend klingen mögen, in der Realität jedoch kaum mehr als ein Bemühen angesehen werden können.
Gleiches gilt auch für die Gestaltung der Protagonisten, derer es nicht nur einen, sondern eine Gruppe von sechs Figuren gibt, die insgesamt ebenso viele Kapitel erhalten, um ihren Teil zur Geschichte beizutragen. Es wird der Versuch eines Puzzlestücks unternommen, zu dem jede Figur entweder aktiv — durch Erzählungen — oder passiv — durch gefundene Tagebucheinträge — etwas mehr Licht in die Dunkelheit eines finsteren Verbrechens bträgt. Jedes Kapitel geht hierbei einher mit einem Wechsel der sprechenden Figur und damit auch der Sichtweise auf das Geschehen.
Leider gelingt es der Autorin zu selten, jeder dieser Figuren eine charakteristische Note zu verleihen, die dafür sorgen könnte, als Leser unmittelbar zu realisieren, dass es sich um eine neue Erzählperspektive handelt. Hieraus entsteht ein Grad der Verwirrung, sodass man in jedem neuen Kapitel erst einmal bemüht ist, herauszufinden, wessen Gedanken man nun liest. Manches Mal fällt erst bei Nennung des neuen Namens auf, dass man keine der vorherigen Figuren begleitet, sondern jemand eine andere Figur, den Leser an die Hand nimmt.
Zusätzlich macht sich der Eindruck breit die Figuren seien arg minimalistisch geplant gewesen, da bis auf die Lehrerin, der u.a. das erste, viel zu ausufernde, Kapitel gewidmet wurde, keine andere Figur mehr eine charakterliche Vielfalt darstellen kann. Alle Protagonisten besitzen mehr oder weniger eine eigene Farbgebung, sind aber weit weg von einem Regenbogenartigen Abwechslungsreichtum, den man sich wünschen und den man erwarten würde.
Die einzigen bemerkbaren Bemühungen der Autorin, etwas mehr charakterliche Tiefe zu schaffen, gelingen dann aber auch nur selten, da die Autorin zum einen tief in die Klischee-Kiste greift und zum anderen übertriebene Figurenentwicklungen beschreibt: da ist beispielsweise ein Ich-Erzähler, der aus dem Handbuch für Mörder entstammen könnte, während andernorts jemand ohne jede Not völlig dem Wahn verfällt.
Alles in allem sind die Figuren in diesem Roman ein Potpourri, mit dem man sich nur schwer anfreunden kann, da es vielen von ihnen an Ankerpunkten fehlt, die einem erlauben, Mitleid mit ihnen zu empfinden oder zumindest mit ihnen zu sympathisieren. Einzig die Lehrerin zum Teil oder auch die Ausarbeitung der Mitschülerin, ebenfalls eine Erzählerin, wissen zu überzeugen.
Struktur und Fokus
Sechs Kapitel und ebenso viele unterschiedliche Sichtweisen auf eine Tat und dem was danach kam — das ist die Struktur dieses Romans und so intelligent konstruiert es klingen mag, so selten finden die einzelnen Baustücke zu wirklich zueinander. Es wirkt mehr, als würde man nacheinander sechs verschiedene Varianten derselben Ereignisse erfahren und hierdurch sind Ermüdungserscheinungen ein leider häufig auftretender Eindruck.
Während das erste Kapitel durch einen viel zu ausufernden und damit unrealistisch langen Monolog (60+ Seiten) einer Lehrerin vor einer Klasse geprägt ist, die fiktive, aber nicht als Gespräch dargestellte Zwischenrufe als Stichwortgeber für Themenwechsel benutzt, geht es in anderen Kapiteln bodenständiger vonstatten. Neben erzählenden Tagebucheinträgen, in denen es auch Dialoge gibt, berichten andere Figuren aus ihrer Erinnerung, wie sich die Geschehnisse zugetragen haben. Diese Bodenständigkeit in der Struktur hilft dem Roman, die Geschichte nicht zu sehr zu zerfasern und die Geduld der Leser nicht zu sehr auf die Probe zu stellen.
Der Fokus des Romans liegt eindeutig auf der über allem schwebenden Tat, wie sie sich ereignete und wie die Lebensstränge der Figuren von da an weiterverlaufen. Durch diese Tatsache kommt es immer wieder einmal vor, dass man die gleiche Situation aus unterschiedlichen Blickwinkeln sieht, die allerdings nicht zur Gesamtspannung beitragen können. So wirkt der Roman in solchen Momenten wie die schriftliche Fassung von “Und täglich grüßt ein Murmeltier”. Leider gelingt es der Autorin hierbei nicht, alle Episoden gleich interessant zu gestalten und auch die inhaltlichen Übergange warum welche Figur wann spricht, sind nicht immer schlüssig.
Sprache
Auf sprachlicher Ebene gibt es ebenso wenig zu beanstanden wie zu besprechen: der Sprachstil ist simpel gehalten, um ein zügiges Voranschreiten im Roman zu ermöglichen, die Dialoge erscheinen größtenteils glaubwürdig, der Verzicht auf rhetorische Elemente zu Lasten der Spannung macht sich nicht sonderlich bemerkbar.
Insgesamt ist dieses Werk sprachlich eher glatt und unkompliziert, sodass sich auch Quereinsteiger in das Genre dieses Romans ohne Probleme zurechtfinden werden. Während es an einigen Stellen durchaus lobenswerte Sätze gibt, die einen gewissen Tiefgang vermuten lassen, rinnt der Rest wie ein wenig aufregendes Bächlein dahin und der Leser folgt genügsam.
Ob diese Einfachheit allerdings bereits im Original enthalten oder durch die deutsche Übersetzung erst in den Roman hineingebracht wurde, lässt sich aufgrund mangelnder Sprachkenntnisse des japanischen Ursprungs nicht abschließend klären.
Lesegefühl
Zu Beginn ist die Vorfreude aufgrund des Klappentextes groß: Die bevorstehende Handlung ist in ihrer Idee individuell, spannend und lässt auf ein außergewöhnliches Leseerlebnis hoffen. Racheromane sind zwar an sich keine Seltenheit, aber durch die Kombination der Schüler und jungen Menschen als Mördern der Tochter eine Lehrerin, die dann wiederum nach einer inneren Gerechtigkeit strebt, ist zumindest in der Grundstruktur eine gute Basis für eine aufregende Lesezeit.
Dieser Eindruck wird jedoch bereits durch das erste Kapitel stark beeinträchtigt. Eine Lehrerin, deren Charakter nur durch Rückblenden in einige Stationen ihres Lebens, deutlich wird, provoziert die Geduld des Lesers in einem mit über 60 Seiten viel zu langem ersten, als einziger Monolog vorgetragenem Kapitel. In dieser überlangen Exposition werden nicht nur unwichtige Details der erzählenden Lehrerin offenbart, sondern auch der Ablauf des Todes ihrer Tochter, der allerdings noch rund drei-vier weitere Male durch die anderen Figuren besprochen wird. Eine Kürzung hätte sich also an dieser oder späterer Stelle angeboten.
Insgesamt fällt es aufgrund dieser Geduldsprobe und der nur teilweise überzeugenden, charakterlichen Tiefe schwer, eine Verbindung zur Lehrerin aufzubauen, da man sie nicht detailliert genug kennenlernt. Sie besitzt am Ende des Kapitels lediglich die Eckpunkte, eine Mutter zu sein, die Rache will, weil sie ihre Tochter verloren hat — mehr nicht. Der Rest verschwimmt im Brei des Monologs, in dem man verzweifelt versucht, die für den Roman wichtigen Inhalte zu finden. Selbst andere Figuren, die später auftauchen und deutlich weniger Redeanteile haben, werden wenigstens durch Dialoge und Interaktionen mit anderen Menschen greifbarer, unter anderem auch deswegen, weil sie Mitmenschen nicht nur zu Stichwortgebern degradiert.
Das erste Kapitel krankt zusätzlich wie zwei spätere, in denen auch die Mörder eine Möglichkeit erhalten, ihre Sicht darzustellen, an Glaubwürdigkeit. So erscheint es weder sinnig, dass ein vor einer Klasse ausgesprochener Monolog über eine derartige Länge verfügen kann, ohne die Grenzen des Unterrichts zu sprengen, noch sind die Motive der Mörder im weiteren Verlauf sonderlich ausgeprägt oder gar logisch nachvollziehbar. Insgesamt wirkt vieles zu konstruiert und als hätte die Autorin eine Klischee-Kiste gefunden, sich derart Hals über Kopf hineingestürzt, dass es fraglich ist, ob noch etwas in der Kiste zurückgelassen wurde.
Lediglich einige wenige der dargestellten Figuren können sich typischer Klischees entziehen und erhalten eine individuellere Note. Eine davon, eine Mitschülerin, funktioniert sogar ganz hervorragend und kann den Leser begeistern! Das wiederum zeigt die Fähigkeit er Autorin, eine charakterlich gute Struktur zu erschaffen, nur gelingt es ihr bei zu wenigen der dargestellten Menschen.
Schlussendlich sehnt man sich nach dem einen wunderbaren Kapitel der Mitschülerin, in dem man endlich mal mit einer Figur mitfiebern und sie gänzlich rund empfand, nach eben jener Tiefe, jedoch wird einem diese Freude versagt.
So plätschert die Handlung in stark repetitiver Weise vor sich hin, bis sie im letzten Kapitel einen Abschluss findet, der ebenso vorhersehbar und offensichtlich war, wie einige der vorher — und auf dem Klappentext angekündigten — vermeintlich spannenden Wendungen. Dass sich auch hier die Glaubwürdigkeit hinter der bereits lange fortgelaufenen Logik versteckt, kann man auf der letzten Seite nur noch mit einem müden Lächeln quittieren. Immerhin hat man es geschafft. Man hat Geständnisse überstanden und sich, hoffentlich, beim Kopfschütteln ob der vielen Schwachstellen des Romans nicht den Nacken verletzt.
Bewertung: 2/5
Buchdetails
Gebundene Ausgabe: 272 Seiten
Verlag: C. Bertelsmann Verlag (27. März 2017)
Sprache: Deutsch
ISBN-10: 3570102904
ISBN-13: 978-3570102909
Originaltitel: Kokuhaku (Confessions)
Größe und/oder Gewicht: 13 x 2,7 x 20,3 cm
Klappentext:
„Die kleine Tochter der alleinerziehenden Lehrerin Moriguchi ist im Schulschwimmbad ertrunken; ein tragischer Unfall, wie es scheint. Wenige Wochen später kündigt Moriguchi ihre Stelle an der Schule, doch zuvor will sie ihrer Klasse noch eine letzte Lektion mit auf den Weg geben. Denn sie weiß, dass ihre Schüler Schuld am Tod ihrer Tochter haben. Mit einer erschütternden Offenbarung setzt sie unter ihnen ein tödliches Drama um Schuld und Rache, um Gewalt und Wahnsinn in Gang, an dessen Ende keiner – weder Kind noch Erwachsener – ungeschoren davonkommt.“
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One thought on “Rezension: Geständnisse von Kanae Minato (C. Bertelsmann Verlag)”