Von Weissagungen & mörderischen Festen

 

 

Grundgedanken & Prota

Amélie Nothomb gehört zu der Sorte Schreiberinnen, die sich gerne einmal in unterschiedlichsten Gedankenszenarien austoben und von der man vor einem Buch nie genau weiß, was man zu erwarten hat. Während sie in Fear and Trembling ihr Leben in Japan und die kulturellen Unterschiede glänzend aufzeigt, schickt sie den Leser in Liebessabotage in ein kindliches Militärmanöver, das sprachlich wie auch auf der Ebene des Ideenreichtums brilliert.

Mit Töte mich scheint sie nun erneut eine andere Richtung einzuschlagen, denn der Klappentext mahnt sogar an, es könnte märchenhaft werden. Dabei bezieht sich diese Vorahnung sicherlich auf die ebenfalls im Klappentext erwähnte Weissagung, die der Vater erhalten wird und um deren voraussichtliche Erfüllung es in dem Roman gehen wird. Dies scheint auf den ersten Blick eine Abkehr von Nothombs normalerweise realistischer Erdung zu sein, die alle ihre Bücher besitzen, aber nach einigen Kapiteln wird deutlich werden, dass es mehr um die Reaktion und Vorbereitung auf die Erfüllung der Weissagung geht, als um übernatürliche Kräfte, die alle Geschicke der Figuren leiten.

Der Protagonist dieses Kurzromans ist ein etwas in die Jahre gekommener Graf Henri Neville, der nicht nur seinen Adel als eine gewisse Last empfindet, sondern auch die mit dem Leben in einem Schloss verbundenen Kosten. Er steht symptomatisch (und inhaltlich) für den Abstieg des Adels, dessen Reichtümer mit wachsenden Kosten und schwankenden Einnahmen dahinschmelzen. Jene Figur ist nicht nur herrlich skurril gezeichnet, wenn er über die Gesellschaft und die Verpflichtung des Adels spricht, sondern offenbar insbesondere in Kommunikationen mit seiner Familie eine interessante Bandbreite und Vielschichtigkeit:

In den meisten Fällen ist es schwer einzuschätzen, wie der Vater Neville auf die Anliegen seiner Kinder reagieren wird, vor allem herrscht eine stetige Unklarheit, wie er seiner Tochter Sérieuse begegnen soll, die von ihm Unmögliches innerhalb der Geschichte fordern wird. Trotz dieser schwierigen Wende, die das Leben dieser Figur genommen hat und auch wenn er stets den Anschein erweckt, nicht-adlige Menschen hätten von seinem Leid kaum eine Vorstellung, gelingt es der Autorin Nothomb früh, eine grundlegende Sympathie für diesen Protagonisten zu erschaffen und diese bis zum Ende fortführen zu können.

Sprache des Romans

Töte mich ist ein typischer Nothomb. Wie bereits in anderen ihrer Werke zeichnet sich die Sprache durch eine äußerste Präzision aus und die Dialoge haben eine außergewöhnliche Schärfe. Kein Wort scheint zu viel, die Unterhaltungen wirken an einigen Stellen philosophisch-poetisch und abwechslungsreich. Dazu gesellt sich ein breites Spektrum an rhetorischen Kniffen und unterschiedlichen Satzlängen, die ebenfalls dafür sorgen, dass gedanklich keine Langeweile aufkommt. Sprachlich ist auch dieser Kurzroman wieder einmal ganz hervorragend gelöst und weiß sogar durch ein ihm wohltuendes Maß an Ironie zu überzeugen.

Struktur & Fokus des Romans

Nothomb hat sich in diesem Werk für eine äußerst geradlinige Erzählung entschieden. Bis auf einen kurzen Ausflug in die Vergangenheit, in der die Geschichte der Familie Neville vorgetragen und ausgebreitet wird, folgt die erzählerische Kamera stets dem Vater und den Auseinandersetzungen sowohl mit der Vorhersage als auch seiner Familie. Aufgrund der geringen Seitenanzahl war für Experimente kaum Platz, alles wird sehr zügig und fortlaufend erzählt, sodass dieses als “Roman” verschriene Werk eher als eine Novelle zu bezeichnen ist, was aber natürlich auf dem Cover nicht verkaufsfördernd gewesen wäre.

Lesegefühl

Der jüngste Roman von Nothomb wirkt an vielen Stellen wie ein Best-Of vergangener Werke und das im positivsten Sinne: die Figuren sind wunderbar schräg ausgearbeitet, die Dialoge sind überraschend gestaltet und entwickeln sich mehr und mehr zum Antrieb, Seite um Seite hinter sich zu lassen und auch das Gesamtkonstrukt des Romans ist herrlich besonders, auch wenn die Grundprämisse zuerst bieder daherkommen mag.

Zusätzlich zum spaßigen Handlungsverlauf versteckt Nothomb eine Gesellschaftskritik in diesem Roman, die nicht nur den Adel, sondern auch dessen Sicht auf all jene verdeutlicht, die nicht mit blauem Blut gesegnet wurden. Gleichzeitig offenbart sich eine weitere interessante Facette, da in diesem Roman nicht wie in vielen heutigen Serien der Prunk des Adels zur Schau gestellt wird, sondern dessen Verfall, sowohl auf materieller als auch auf moralischer Ebene.

Ebenfalls außergewöhnlich ist die literarische Intertextualität, derer sich Nothomb bedient und zweifellos bemüht war, ihre Version eines der großen Kernthemen von Goethes “Iphigenie auf Tauris” zu erschaffen. Dies gelingt ihr erstaunlich gut und würde der Text selbst nicht derart häufig und deutlich auf diesen Versuch verweisen, würde die Geschichte genug Relevanz besitzen, um eigenständig existieren zu können. Wer aber auch mit Goethes Werk vertraut ist, kommt in den Genuss, eine Vater-Tochter-Problematik aus unterschiedlichen Zeitepochen ebenso verschieden interpretiert und gelöst zu sehen, während man sich als Leser stets selbst hinterfragt, welchen Weg man selbst wählen würde.

Amélie Nothomb hat nebst den zu Beginn aufgeführten Werken erneut ein kleines Kunstwerk erschaffen, das durch eine brillante Sprache, eine banal erscheinende, aber in Wahrheit klug erzählte Geschichte, spitzfindigen Dialogen und einer unerwarteten Gesellschaftskritik vollends überzeugen konnte.

Bewertung: 5/5

 

Buchdetails

 

Gebundene Ausgabe: 112 Seiten

Verlag: Diogenes; Auflage: 1 (23. August 2017)

Sprache: Deutsch

ISBN-10: 3257069898

ISBN-13: 978-3257069891

Originaltitel: Le crime du comte Neville

Größe und/oder Gewicht: 12,1 x 1,5 x 19 cm

Klapptentext: „Die 17-jährige Tochter des Grafen Neville gibt Anlass zur Sorge. Eines Nachts läuft sie von zu Hause davon und wird im Wald halberfroren von einer Wahrsagerin aufgefunden. Als der Vater das Mädchen abholt, prophezeit ihm die Hellseherin, er werde demnächst einen Menschen töten. Die Tochter macht sich diese Weissagung zunutze. Sie versucht den Vater davon zu überzeugen, dass sie das perfekte Opfer ist. Ein Märchen voller böser Vorzeichen und doch mit einem Happy End.“

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