Ein Wettlauf fürs Leben

 

 

Grundgedanken & Prota

In Mit Träumen im Herzen erzählt Giuseppe Catozella die Lebensgeschichte einer jungen Frau, die durch ihr läuferisches Talent nicht nur in der Lage war, ihr Land bei den olympischen Spielen zu vertreten, sondern es auch als Chance nutzen konnte, den sich verschlimmernden Umständen in ihrem Heimat zu entkommen. Diese Flucht führte —  wie der Klappentext und andere Hinweise auf dem Buch bereits verraten — zu ihrem Tod und gerade das macht die Tragik dieser posthum erschienenen Erzählung aus.

Aufgrund des Ablebens der Hauptakteurin ergibt sich eine Besonderheit bei diesem biografisch angehauchten Roman: der Autor schlüpft, ohne auch nur einmal mit der realen Person gesprochen zu haben, in ihre Rolle und erzählt die Lebensgeschichte, als käme sie direkt aus der Tinte von Samia, eben jener somalischen Läuferin. Hierfür muss er fremde Menschen in einem noch fremderen Land beschreiben und das zu einer Zeit, in der kulturelle Verschiebungen nicht nur Somalia, sondern insbesondere die Leben der Bewohner maßgeblich veränderten. 

In einer Welt voller Clan-Rivalitäten und Gewalt wächst Samia innerhalb des Romans  zu einer jungen Frau heran. Sie ist die Protagonistin, sowie Ich-Erzählerin und wird den Lesern hierbei in einer bewundernswert sympathischen, an vielen Stelle beinahe sanften, Form gezeigt. Sie ist mutig, lässt sich von Widrigkeiten nicht beirren, hält an ihren Träumen fest, reflektiert klug über die Geschehnisse um sie herum und gleichzeitig wirkt sie oftmals zerbrechlich, dass man sie als Leser schützen möchte. Am liebsten würde man ihr sogar den Weg aus ihrem immer weiter ins Chaos abdriftendem Land zeigen. Insbesondere als die Umstände gefährlicher werden, weil Islamisten die Freiheiten der Menschen, insbesondere der Frauen, stark einschränken und so auch Samias Traum einer Karriere als Läuferin zu gefährden drohen. Man fiebert mit ihr mit und das obwohl der Klappentext bereits das traurige Ende dieser Geschichte verrät. Das macht den Verlauf der Geschichte mit dem mit wachsender Seitenzahl immer näher kommenden Abgrund umso schmerzhafter.

 

Struktur und Fokus des Romans

Strukturell gesehen bietet dieser Roman reine Standardkost: die Erzählung beginnt an einer willkürlich erscheinenden Stelle in Samias Leben und folgt ihr dann bis zur letzten Seite. Hierbei werden unterschiedlichste Episoden und Etappen von Samias Leben aufgezeigt, die letztendlich die Grundlage dafür bilden, dass sie — wie es das Backcover bereits vorwegnimmt— zur Läuferin und später auch zum Flüchtling wird. Es findet eine aufeinander aufbauende Verkettung unterschiedlichster Ereignisse statt, denen man als Leser ohne Schwierigkeiten folgen kann. An manchen Stellen würde man sich sogar eher etwas mehr Abwechslung wünschen, um die Grenzen, die durch eine solch stringente Ich-Erzählung gegeben werden, etwas aufzulockern und etwas mehr Dynamik erhalten zu können. Dass dies jedoch nicht gewählt wurde, lässt sich nur schwer ankreiden, da ein biografischer Roman für derartige erzählerische Ausflüge nicht zwingend geeignet sein muss.

Im Fokus dieses Romans liegt die Geschichte der jungen Läuferin Samia Yusuf Omar, die durch die Geschicke ihres Lebens führt. Hierbei stehen vor allem die Geschehnisse der jeweiligen Etappen im Vordergrund, ohne aber zu viele Zeitsprünge in früherer Vergangenheit zu nutzen. Auch die anderen Figuren erhalten meist nur eine Identität durch die Ich-Erzählerin beziehungsweise der Interaktion mit ihr.

Hierdurch gelingt es dem Autor die einzelnen Veränderungen im Land wie Gewehrkugeln ins Herz der Leser zu schießen, da man den schleichenden Prozess der Veränderung eben nicht wie Samia am eigenen Leib erfährt, sondern nur dann davon erzählt bekommt, wenn es die Ich-Erzählerin für wichtig hält. In der Geschichte können Wochen oder Monate vergehen und man erfährt erst in einem Nebensatz, welche großen Einschnitte die Veränderungen im Machtgefüge bedeuten und welche neuen Vorschriften das Leben der Bewohner Somalias einschränken.

Gerne würde man Samia auch manchmal in ihrem Erzählfluss stoppen, um Nachfragen über Ungeheuerlichkeiten im Alltag und der neuen Ordnung zu stellen, aber die Geschichte wird unerbittlich weitererzählt. Möglicherweise zeichnet sich hier der Autor verantwortlich, der nur mit der Schwester und einigen Bekannten Samias sprach, die kulturellen und strukturellen Veränderungen aber nicht am eigenen Leib erfahren hat. Sie wirken deshalb meist wie kurze Abstecher, werden aber leider selten auf mehreren Seiten vertieft.

 

Sprache

Der Großteil dieses Romans ist eine in schlichter Sprache gehaltene Erzählung, die stringent von Punkt A nach Z führt. Die Sätze variieren, sind meist aber eher von kürzerer Natur, ohne sonderlich kompliziert zu sein. Und dennoch hat die Sprache einen besonderen Charme, da sie eine gewisse Distanz zum Geschehen besitzt. Die Erzählung, selbst wenn sie von einer Ich-Erzählerin angetrieben wird, wirkt oft neutral und hat nicht den Anspruch, Leser mit einfachen Mitteln emotional zu lenken. Sie überlässt vielmehr den Ereignissen und der Geschichte genug Raum und verhält sich dabei zurückhaltend.

Dieser Eindruck wird noch dadurch verstärkt, dass Gefühle meist nur kurz benannt, aber von der Ich-Erzählerin nicht offen ausgelebt werden. Verfällt Samia beispielsweise mal in eine traurige Stimmung, würde sie eher sagen, dass sie traurig war, anstatt es über mehrere Seiten zu präsentieren. Die eigentliche Handlung ist daher eher im Zentrum der Sprache als die Atmosphäre an sich. Die eher sporadisch auftretenden und gerade deshalb zum Weiterlesen verführenden Dialoge helfen dabei zusätzlich, Akzente zu setzen, die sich dann wiederum von der zurückgenommenen Ausprägung an Emotionalität abheben.

 

Lesegefühl

Vor dem Buch stand die Frage im Raum, ob die Geschichte einer jungen Olympionikin, deren Leben ein negatives Ende nahm, wirklich genug Stoff bieten könnte, um einen ganzen Roman damit zu füllen. Diese leisen Zweifel wurden jedoch bereits nach den ersten Seiten begraben, in denen man in eine ferne Welt hineingesogen wird und sich emotional an die Geschicke der jungen Ich-Erzählerin bindet. Wohlwissend, dass diese Bindung im weiteren Verlauf unweigerlich ebenso in den Abgrund führen wird.

Mit Träumen im Herzen macht nicht den Fehler, wie eine langatmige Biografie daherzukommen, sondern verwebt geschickt reale Ereignisse, die der Autor Catozzella durch Gespräche mit Angehörigen erfahren hat, mit fiktiven, erzählerischen Elementen, die ans Herz gehen. Eine junge Frau, die stark, selbst bewusst und unabhängig ist, lebt in einem Land, das vom Krieg unterschiedlicher Clans gebeutelt wurde und dann sogar noch vom Islamismus überfallen wird. Das alleine sind bereits Kernelemente, die der Klappentext bewusst vorenthielt, die aber eine erhebliche Brisanz in den Roman bringen. Man möchte unbedingt erfahren, wie sich die gesellschaftlichen Verhältnisse verändern, welche Auswirkungen das auf Samia und ihre Familie hat und zumeist sind diese Dinge spannender als die eigentlichen Passagen über das Laufen.

Dazu gesellt sich eine Flüchtlingsgeschichte, die in Schulen und anderen Bildungseinrichtungen verwendet werden sollte, um Menschen dafür zu sensibilisieren, was es bedeutet, aus Angst sein Zuhause verlassen und in eine unbekannte Welt fliehen zu müssen. Die einzelnen Stationen dieser Flucht sind an manchen Stellen nur schwer zu ertragen, während gleichzeitig eine Bewunderung für Samia wächst, wie sie diese Strapazen und folterähnlichen Zustände überstehen konnte.

Das Gefühl, während man Samia und ihre Karriere wachsen sieht, steht hierbei in Kontrast mit dem der Zustände unter denen der Islamisten und der anschließenden Flucht. Ist man zu Beginn noch voller Begeisterung für dieses junge Mädchen und fiebert mit ihren Erfolgen mit, ziehen immer wieder Gewitterwolken auf, die meist aber nur wenige Sätze andauern. Später hingegen rückt das Laufen in den Hintergrund und es geht nur noch ums Überleben, sowie Samias Hoffnung auf ein Ende des Leids. Das ist spannend, bedrückend, berührend und aufwühlend zugleich präsentiert. Diese beiden Hälften des Buches wären für sich genommen nichts Besonderes, aber in der Kombination führen sie zu einem außergewöhnlich bewegenden Lesererlebnis!

Bewertung: 4/5 Lese-Eulen

Buchdetails

 

Taschenbuch: 256 Seiten

Verlag: Penguin Verlag (12. Dezember 2016)

Sprache: Deutsch

ISBN-10: 3328100598

ISBN-13: 978-3328100591

Originaltitel: Non dirmi che hai paura

Größe und/oder Gewicht: 11,6 x 2,2 x 18,5 cm

Klappentext:

„Sie kam als Letzte ins Ziel, doch ihr Foto ging um die Welt. Millionen waren bei den Olympischen Spielen 2008 von der somalischen Läuferin Samia und ihrem eisernen Willen gerührt. Doch nur wenige wissen, dass die junge Frau danach in ihrer Heimat keine Unterstützung mehr erhielt und sich auf die lange illegale Reise nach Europa machte. Ihre Odyssee fand 2012 vor Lampedusa ein tragisches Ende.“

Link zum Buch

Vergleichbare Bücher:

Im Meer schwimmen Krokodile

Tausend strahlende Sonnen

Im Land der Frühaufsteher

 

 

 

 

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