Wie ein wichtiges Buch sich selbst ein Bein stellt…

 

 

Disclaimer: Da es sich bei diesem Buch um ein Sachbuch handelt, findet die übliche strukturelle Abhandlung der bisherigen Rezensionen (Grundgedanken/Prota, Struktur, Sprache, Lesegefühl) hier keine Anwendung. Die Rezension erfolgt in einem kategorielosen Fließtext.

 

Noch bevor man die erste Seite gelesen hat, machen der Titel und vor allem der Klappentext deutlich, dass es sich hierbei nicht etwa um ein von Statistiken und geschichtlichen Hintergründen getriebenes Buch handelt, das Informationen an Leser weitergeben möchte. Es geht vielmehr darum, den Zahlen in diesen Statistiken Gesichter zu geben und sie der Anonymität zu berauben, kurzum: dieses Sachbuch handelt von den realen Geschichten hinter den schwer greifbaren Nummern des Holocaust.

Insgesamt wurden 18 unterschiedliche Menschen interviewt, die allesamt in ebenso verschiedenen Jahrzehnten geboren wurden. Da gibt es diejenigen, die unmittelbare Nachkriegskinder waren und den Wiederaufbau des Landes mit eigenen Augen sehen konnten, während auch Männer und Frauen befragt werden, die erst zwanzig-dreißig Jahre nach dem Kriegsende geboren sind und damit in einer Welt aufwuchsen, die sich deutlich von denen unterschied, die ihre Eltern kannten und überleben mussten. Hierdurch ergibt sich ein Bild von der schwer beschreibbaren Komplexität an Erfahrungen nicht nur mit Judenfeindlichkeit, sondern auch mit der Frage nach der eigenen Identität.

Die 18 Menschen, so unterschiedlich ihre Erlebnisse auch sein mögen, sind jedoch allesamt darin vereint, dass sie berichten, wie ihr Verhältnis zu Deutschland ist, wie ihre Eltern und weiteren Familienmitglieder die NS-Zeit erlebt — und leider nur teilweise überlebt — haben, welche Pläne sie nach dem zweiten Weltkrieg besaßen, auf welche Anfeindungen sie in anderen Ländern trafen, wie sie ihre Rolle in ihrer Gesellschaft sehen und nennen Gründe für ihren Lebensort und ihre Zukunftspläne.

Ob diese Themenvielfalt, die es in der Form in beinahe ausnahmslos jeder der Geschichten gibt, durch eigenen Antrieb so gewählt oder durch Interviewfragen gelenkt wurden, lässt sich abschließend nicht mehr klären. Das Sachbuch stellt jeden der Interviewpartner auf einer Seite kurz mit ihrer Vita und einem Bild vor, bevor eine — im Durchschnitt zehn bis zwölf Seiten — lange Erzählung der vorgestellten Person folgt. Bei diesen Texten, so unterschiedliche Schwerpunkte sie auch legen, fällt vor allen Dingen die immer wieder gleiche Struktur ins Auge und die Überschneidungen der Themen wirken, als hätte man den Essay-ähnlichen Berichten einen Leitfaden an die Hand gegeben, ohne dies aber im eigentlichen Buch visuell darzustellen.

Das allerdings wäre die deutlich bessere Variante gewesen, da es so nicht nur auf inhaltlicher Ebene deutliche Parallelen gibt, sondern sogar strukturell von Erzählung zu Erzählung, wodurch der Eindruck entsteht, die Interviewten hätten sich abgesprochen. Ein abstruser Eindruck für ein Sachbuch, dass deutlich darum bemüht ist, die vielen Facetten der Erben des Holocaust zu zeigen und um Authentizität bemüht ist.

Doch leider ist das nicht der einzige Fauxpas, den sich dieses Buch erlaubt: es ist beispielsweise völlig unverständlich, warum welcher Interviewpartner ausgewählt wurde. Neben einigen prominenten Gesichtern ist die Reihe an Befragten doch eher mit wenig bekannten Menschen angereichert, die zwar absolut ihre Daseinsberechtigung in diesem Buch besitzen, aber dennoch wäre es wünschenswert gewesen, die Hintergründe zu erfahren, warum man sie ausgewählt hat und niemand anderen.

Ebenfalls wäre es förderlich gewesen, bei der Komposition der 18 Geschichten darauf zu achten, dass es einen stetigen Wechsel zwischen den Inhalten stattfindet und eben nicht Schicksale und Vergangenheiten, die nahezu deckungsgleich verlaufen, direkt nacheinander kommen zu lassen. So entsteht der negative Eindruck, man hätte alles bereits einmal gelesen und dadurch verliert die Brisanz und emotionale Wucht des Gesagten deutlich an Wirkung. Vielmehr noch: es wirkt repetitiv und wird nicht dem Anspruch gerecht, die Breite an Holocaust-Erben zu zeigen. So ist es beispielsweise fragwürdig, ob es wirklich so viele Erzählungen innerhalb des Buches gebraucht hätte, in der Familien nach dem Krieg von Polen nach Wien gingen oder auch nach Berlin. Da wäre mehr Abwechslung wünschenswert gewesen, insbesondere vor dem Hintergrund, dass alle Befragten nur ein knappes Dutzend an Seiten Platz hatten, um ihre Familiengeschichte zu erzählen. Da ist es ärgerlich, wenn hierbei der Eindruck entsteht, man hätte sie alle bereits gelesen.

Diese Monotonie ist es auch, die den Leser immer öfter befällt, je weiter das Buch voranschreitet und da man viele der Befragten nicht kennt und auch in so wenigen Seiten, sowie einem solchen engen Themenkorsett, nicht wirklich kennenlernen kann, findet eine Ermüdungserscheinung statt. Hierdurch entsteht ein deutlicher Abfall zur anfänglichen Begeisterung, denn zu Beginn ist jedes Detail interessant, man wächst in dieses Buch nahezu hinein und gerade die ersten fünf-sechs Interviewpartner besitzen eine gewisse Dringlichkeit, dass man ihren Ausführungen gerne folgt.

Danach jedoch folgen Wiederholen und man wird mehr und mehr von der Frage genagt, ob man die Zahl an Interviewpartnern nicht hätte auf zehn reduzieren und dafür jedem Einzelnen mehr Platz geben sollen. Aber auch hierauf gibt die Autorin keine wirkliche Antwort, da man eben nicht die Beweggründe geliefert bekommt, wer warum ausgewählt wurde und wieso man beschloß, die Lebensgeschichten dieser jüdischen Erben so stark einzuengen.

Fazit

Die Erben des Holocaust ist ein wichtiges und gewichtiges Buch, das interessante Einblicke in die Leben eben jener Menschen erlaubt. Insbesondere am Anfang verfällt man nahezu in einen Leserausch, da man viele der Berichte noch nicht in eben jener Form aus erster Hand bekommen hat. Das Thema des Sachbuches ist daher ganz hervorragend gewählt. Leider krankt es aber an der Vorgehensweise und liefert geizt mit Begründungen dafür, damit man wenigstens hätte nachvollziehen können, warum man sich für diese Wege entschied. Dies ist insbesondere vor dem Hintergrund schade, dass diese Monotonie und das hohe Maß an Wiederholung bei einem so wichtigen Thema für einen wachsenden Motivationsverlust sorgt und das kann nicht so gewollt gewesen sein. Man hätte merken müssen, dass sich die Geschichten zu sehr ähneln und dann entweder neue Menschen befragen oder aber auf weniger Erzählungen des gleichen Schlags setzen sollen.

Das hätte sowohl der Lesemotivation als auch der Wichtigkeit dieses Werkes sehr gut getan. So aber verspielt es viel Potential, beraubt sich allerdings nie seiner Stärken rund um Authentizität, Empathie und der spürbaren Last der Erinnerung.

Bewertung :  3/5

Buchdetails

 

Gebundene Ausgabe: 224 Seiten

Verlag: Gütersloher Verlagshaus (27. Februar 2017)

Sprache: Deutsch

ISBN-10: 3579086707

ISBN-13: 978-3579086705

Größe und/oder Gewicht: 14,1 x 2,5 x 22,1 cm

Klappentext:

„Welche Erfahrungen machten die Kinder jener Menschen, die den Holocaust überlebten? Wie prägend waren die Erinnerungen der Eltern an Flucht, Konzentrationslager und die ermordete Familie? Und was bedeutete deren Neuanfang im Land der Täter für das eigene Leben?
Andrea von Treuenfeld hat prominente Söhne und Töchter befragt. Marcel Reif, Nina Ruge, Ilja Richter, Andreas Nachama, Sharon Brauner, Robert Schindel und andere berichten von der Herausforderung, mit dem Ungeheuerlichen leben zu müssen. 
Ein wichtiges und berührendes Buch!“

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Vergleichbare Bücher:

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Zurück in das Land, das uns töten wollte

 

 

 

 

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