Temporeicher Großstadtabsturz

 

Grundgedanken und Protagonisten

Angesiedelt im angedeuteten Berlin erzählt der Journalist und Regisseur Volker Heise in seinem ersten Roman die Geschichte eines Tages und der darauffolgenden Nacht, in der — etappenweise — unterschiedliche Menschen in einen Abwärtsstrudel geraten, der von ihnen selbst initiiert wird und jeder einen Beitrag dazu leistet, allen Figuren den Boden unter den Füßen wegzuziehen. Außer Kontrolle bietet eine Handlung, die den Geist einer Großstadt einzufangen gedenkt, die verschiedenen, meist scheiternden Existenzen, in sich begräbt und das Bild einer Stadt zeichnet, das paradoxerweise in seiner Grenzenlosigkeit sehr detailgetreu beschrieben wird.

Die Lage der Protagonisten ist hierbei ebenso von Gewimmel geprägt wie so manche Stadt: deutlich im Zentrum steht zwar ein junger Mann namens Jan, der sich auf ein Date und einer hoffentlich erfolgreichen Vermählung mit Nadine freut, aber auch Nadine selbst ist Teil mancher Kapitelabschnitte. Dazu gesellt sich noch der tief verschuldete Koch Naujoks und ein Polizist, der im späteren Verlauf eine gewichtige Rolle einnehmen wird. Sie alle erhalten eigenständige Kapitel, in denen zum einen die Handlung vorangetrieben werden, aber auch die Ausarbeitung der Charaktere erfolgt.

Die Qualität des Detailgrades der einzelnen Figuren ist jedoch unterschiedlich: Jan ist vor allem durch einige wenige Handlungen und seiner Liebe zu Nadine definiert. Diese Charakterdecke ist dünn und so gelingt es Lesern nur durch eben jene Gefühle eine Bindung zu ihm aufzubauen. Trotzdem ist er als Figur positiv gezeichnet, was von seiner Angebeteten Nadine nicht behauptet werden kann: sie ist ein unsympathisches, berechnendes und emotionsloses Biest, das ihrer Umgebung vor allem eines bringt: Unglück. Die Figurenausarbeitung des Kochs ist dem hingegen erstaunlich vielseitig und es lässt sich die Frage stellen, warum einer Nebenfigur derart viel Raum zugestanden wird, die letzten Endes nur zwei kleine Funktionen besitzt, während man den Hauptakteur Jan nur kümmerlich in Szene setzt. Auch der angesprochene Polizist erhält nur kleine Stücke des Kuchens der Figurenbeschreibung,

Sprache

Dieser Roman lässt sich im Grunde in sprachlich wie eine Pyramide beschreiben: im ersten Drittel des Romans nutzt Heise die Spitzenleistung seines journalistischen Schreibens. Die Sätze sind präzise und knallen Lesern nahezu um die Ohren. Bissige Kommentare über die Großstadt reihen sich an teilweise fast zu detaillierten Beschreibungen der Umgebung. Je weiter die Handlung voranschreitet, umso mehr verliert sich dieser zackige und prägnante Sprachstil zu Gunsten der Akteure. Nur wenn neue Figuren eingefügt werden, gibt es noch einmal jenen Sprachstil des Anfangs, der den Leser in das Buch sog. Gegen Ende hin, mit zunehmender Dramatik, verliert sich die Sprache des Anfangs und verlässt das hervorragende Niveau der ersten Kapitel, um sich typischer Thriller-Sprache zu bedienen. 

Struktur

Strukturell ist dieses Werk vor allem durch seine vielen Perspektivwechsel geprägt. Immer wieder wird die Handlung an einem Ort vorangebracht, angehalten, nur um dann das Treiben anderer Figuren zu zeigen. Dies verläuft solange parallel, bis sich die Figuren auch auf inhaltlicher Ebene kreuzen, da sie sich beispielsweise in einem Restaurant begegnen, gefolgt von einer weiteren Aufteilung der Figuren in alle erzählerischen Kapitelrichtungen.

Heises Roman ist hierbei die filmlastige Herkunft des Autors deutlich anzumerken, da nicht nur erzählerische Wege einer Montagetechnik gleichkommen, sondern auch die Mittel, mit denen eine Atmosphäre erschaffen wird, häufig wie der Zoom einer Kamera oder eine Abfolge mehrerer, schnell geschnittener Bilder wirken.

Lesegefühl

Zu Beginn des Romans wird vor allem der journalistische, sehr knapp und neutral gehaltene Schreibstil auffallen, der die Hauptstadt wie ein Instagram-Filter seiner Wärme entzieht. Man spürt zwar die Vibration des wahren Lebens, gleichzeitig ist zweifelhaft, ob man sich selbst dieses bebenden Stadtwerks aussetzen oder lieber nur aus der Distanz beobachten möchte.

Wer diese Wahl jedoch nicht geboten bekommt, sind die Kernfiguren dieses Romans, alle rundherum um Jan und Nadine, zwei Figuren, die einander wohl mehr verdienen, als dass sie sich wirklich zum Glücklichsein brauchen. Allen voran Jan soll zwar ein Sympathieträger wirken, ist aber in seiner Charakterzeichnung zu blass gehalten, um die filmisch sicher überzeugenden, aber erzählerisch eher wenig glaubwürdigen Wendungen in der zweiten Hälfte des Romans gänzlich tragen zu können. Nadine könnte ebenfalls die Rolle als Ankerpunkt besitzen, jedoch ist ihre Färbung zwar stärker, gleichzeitig aber falschzüngiger und ablehnenswerter, sodass auch hier eine Identifikation schwer fällt und man Jan eigentlich nur zurufen möchte, er solle die junge Frau für sein eigenes Wohl aus dem Leben werfen. Diese beiden Elemente in Verbundenheit mit den anderen ebenfalls nicht sonderlich sympathischen Figuren erschweren es Lesern, bei den Geschicken dieser teilweise chaotischen und zerstörerischen, teilweise auch dysfunktionalen Figuren mitzufiebern.

Dennoch entwickelt vor allem die Stadt selbst und wie sie mit diesen gebrochenen Menschen umgeht, die in ihr mehr nach sich selbst suchen, anstatt wirkliches Glück zu finden, eine starke Sogwirkung. Die Beschreibungen der Umgebung, so ausufernd sie sein mögen, in Kombination mit den Geschicken der Handlung sind hypnotisierend und es ist kaum möglich, sich nicht vom stetig steigenden Tempo anstecken zu lassen. Man will mit fortlaufender Seitenzahl wissen, welche weiteren Abgründe sich auftun werden und das Gefühl der Sättigung vermag sich nicht einstellen zu wollen.

Es ist ein Roman mit einer strudelartigen Wirkung und einer stetig filmischer werdender Steigerung seiner Handlungsstationen. Dies kann durchaus begeistern und führt trotz der wenig überzeugenden Charaktermotivation der Hauptfigur Jan — bezogen auf den entscheidenden Moment der Handlung, die das Geschehen weiter zum Kippen bringt — zu einem spannenden und unterhaltsamen Leseerlebnis.

Bewertung: 4/5

Buchdetails

Gebundene Ausgabe: 240 Seiten

Verlag: Rowohlt Berlin; Auflage: 1 (17. November 2017)

Sprache: Deutsch

ISBN-10: 3737100233

ISBN-13: 978-3737100236

Größe und/oder Gewicht: 13,3 x 2,3 x 21 cm

Klappentext: „Dieser Abend soll alles entscheiden – Jan hat einen Tisch im Edelrestaurant „Paris“ reserviert, den Ring in der Tasche und den Antrag im Kopf, auch wenn er kaum hoffen kann, dass die schöne Nadine ihre Verlobung mit einem anderen löst und bei ihm in Berlin bleibt. Doch er hat nicht mit dem arroganten Patron Naujoks gerechnet, der nach einem Malheur im Restaurant nur Bargeld nehmen will, das Jan erst besorgen muss; auch nicht mit dem alternden Polizisten Hentschel, der noch einmal den harten Hund markiert, als er ihn in die Bank rennen sieht. Jan, der doch nur zu Nadine zurückwill, wird aufs Revier gebracht, wo er die Nerven verliert – mit furchtbaren Folgen. In nur einer Nacht entsteht aus der Euphorie und Not einer jungen Liebe, aus menschlicher Schwäche und dem Zusammenspiel gar nicht so unwahrscheinlicher Zufälle ein Strudel der Gewalt, ein dramatischer Schicksalssog, dem sich am Ende niemand entziehen kann.

Volker Heise zeigt ein schillerndes Kaleidoskop von Großstadtexistenzen – und erzählt hochspannend davon, wie weit der Mensch gehen kann. Ein mitreißender Roman über ein Verbrechen aus Liebe.“

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