Der zweite Messetag begann etwas besser vorbereitet und gleichzeitig chaotischer als der vorherige Tag. Ein LBM’sches Paradoxon sozusagen: Hatte ich am ersten Tag noch den Fehler gemacht, nicht genug zu trinken und zu essen, versorgte ich mich vorher im wunderschönen Leipziger Hauptbahnhof mit so einigen Energietransportern und auch meine Tasche habe ich im Vorfeld etwas erleichtert, damit man sich mehr wie ein Mensch und weniger wie ein geräderter Packesel nach einigen Stunden Messe fühlen kann.

Diese Vorbereitungen führten dann aber dazu, dass ich einen späteren Zug Richtung Messe nahm. Ein Fehler. Niemals, ich muss es wiederholen, niemals einen Zug nehmen, wenn die Messe nur eine halbe Stunde später bereits eröffnet. Lieber eine Stunde früher da sein, denn dann kann man sich gedrängte Massen in ohnehin engen SBs ersparen. Es hätte nicht viel gefehlt und man hätte die Menschen stapeln müssen. Daher ein gut gemeinter Rat: der frühe Vogel wird nicht in der Bahn zerquetscht.


Die Messe selbst war dann etwas voller als am Vortag und ließ bei mir grauenvolle Visionen von der Situation am Wochenende entstehen. Das muss wirklich die Hölle sein. Aber keine mit stark lodernden Flammen, sondern eher so lauwarm, da ein großer Andrang bedeutet, dass sich wirklich sehr viele Menschen für Bücher interessieren und das kann niemals etwas Schlechtes sein. Dennoch war schon am zweiten Tag ein wenig von der Kehrseite dieser Bücherliebe zu spüren: Menschentrauben verstopften manche Wege, andernorts lieferten sich Langsamlatscher ein Wettschleichen mit Menschen mit Koffern/Kinderwagen und solchen, die aus dem Nichts einfach im Gang stehen bleiben und dort verharrten, als seien Wurzeln aus dem Boden geschossen und hielten sie gefangen.

Das alles war nicht gerade die beste Voraussetzung, wenn man zügig zum anderen Ende der Messe musste, um dort ein Interview mit Markus Heitz zu sehen und das einstündige Gespräch unbedingt sitzend verbringen wollte. Heitz ist u.a. im Fantasy-Genre beheimatet und da nicht nur er selbst, sondern auch dieses Genre, große Beliebtheit genießt, war klar, dass die Massen zu den weißen Sitzwürfeln stürzen würden wie Hyänen ans rettende Wasserloch. Die Vermutung bestätigte sich: der Andrang war enorm, die Menschen sammelten sich vor mir, neben mir und vor allem hinter mir tauchten immer mehr Fantasy-Freunde und Heitz-Anhänger auf, wie ich — sitzend und von ihren Blicken beneidet — feststellen konnte, als ich mich mehrere Male umdrehte, während wir alle auf Heitz warteten, der noch ein wenig im Stau stand. Bemerkenswert: alle Anwesenden verharrten ruhig, niemand protestierte oder monierte. Buchmenschen sind schon außerordentlich toll und vor allem geduldig! 

 

Heitz kam dann einige Minuten später und es war ein wirklich tolles Interview mit einem hypersympathischen Stargast, der allerlei spannende Dinge erzählte. Wie gestern auch schon, hier einige Auszüge:

– Reisen hilft der Inspiration.

– Hat sehr viel gelesen, schon als Kind.

– Hat bei seinen Anfängen, laut eigener Aussage, so ziemlich alles falsch gemacht, wie z.B. kein Exposé geschrieben, Vorgaben der Verlage nicht eingehalten, Zeilen auf den Seiten so eng gedruckt, dass es wie ein völlig schwarzes Blatt wirkte.

– Plotter & Bauchschreiber sind auf einer Stufe, keiner ist besser.

– Man sollte einen eigenen Stil finden, keine „me,too“-Bücher (—> Bücher, die sich stark an Bestsellern orientieren) auf Dauer schreiben, temporär kann es aber funktionieren.

– Durchhalten, niemals aufgeben = Credo für alle Kreativen

– Marketing: Lesereise & Conventions früher, heute: soziale Medien, aber man muss einen Plan haben, man sollte Geld investieren (in soziale Medien)

– Heute: 50% vom Budget ins Marketing.

– Man sollte keine Verzweiflungstat wie kostenlose Bücher oder 1€-Bücher nutzen, denn die Geschichte ist etwas wert!

– Er hat kein Schreibprogramm, nutzt Open Office.

 

Markus Heitz ist ganz klar ein Profi auf der Bühne und bei ihm merkt man, wie viel Erfahrung er inzwischen schon gesammelt hat. Ein wunderbarer Gesprächspartner und es war tatsächlich schade, dass das Interview nicht viel länger ging. Meine und die Begeisterung des Publikums war ihm gewiss.

Danach ging es für mich einmal zur Halle 4, wo ich eine Lesung besuchte, die

mich sogar bis jetzt noch beschäftigt und mich dazu verleitet hat, mich mit einem ganz neuen Thema vertraut zu machen: Exilliteratur in Deutschland. Natürlich kennt man es, dass Menschen ins Ausland fliehen und dann von dort aus über ihre Heimatländer schreiben, aber jemanden wie Maynat Kurbanova vor sich sitzen zu sehen und zu hören, wie sie über ihre Heimat Tschetchenien schreibt, war sehr berührend und aufwühlend zugleich. Die Anthologie mit Geschichten mehrerer Menschen, die aus ihrer Heimat flohen, in Deutschland Schutz fanden und über ihre Erlebnisse berichten, werde ich mir auf jeden Fall kaufen (Titel: “Zuflucht in Deutschland. Texte verfolgter Autoren“).

 

 

 

 

 

 

 

Daraufhin ging ich zur Lesung einer lieben Kollegin, die auf der Messe nicht nur ihren ersten, eigenen Stand hatte, sondern auch ihre erste Lesung abhielt und dementsprechend aufgeregt war. Da ich ein großer Verfechter davon bin, dass wir AutorInnen uns gegenseitig unterstützen sollten, wo es nur möglich ist, ließ ich eine andere Veranstaltung ausfallen und wollte ihr moralischen Beistand leisten. Sie hat das sehr gut gemacht, konnte bei dem Publikum so einige Sympathie-Punkte sammeln und hat vor allem durch eine Mischung aus Lesen & eine Schauspiel-ähnliche Betonung bei den Dialogen viel Interesse geweckt, sodass mit der Zeit immer mehr Menschen zur Leseinsel kamen. Daher: großes Lob an dich, Kia!

Als die Lesung beendet war, wanderte ich erneut durch die Hallen 3 & 4, blickte auch mal kurz bei Halle 2 vorbei, da ich wirklich alles sehen wollte, wohl wissend, dass der Freitag mein letzter Tag auf der Messe sein würde. Ausnahmslos jeden Stand konnte ich mir zwar nicht ansehen, weil die Zeit drängte, aber in diesem Falle war es ein positiver Zeitdruck: eine Veranstaltung auf die ich mich den ganzen Tag über bereits gefreut habe.

 

 

Es ging dabei um ein 3er-Gespräch zwischen Nina George, Janet Clark und

Anke Gasch, die darüber diskutierten, dass AutorInnen nicht nur stumme Zuschauer einer Gesellschaft sein dürfen, sondern laut werden und sich beteiligen müssen, kurz: wir sollen uns engagieren. Ob das in Verbänden ist oder durch unsere soziale Kanäle bleibt jedem selbst überlassen. Dieses Gespräch war gefüllt mit fantastischen und bemerkenswerten Gedankengängen, die alle von uns AutorInnen angeht, dass es schwer fällt, sie alle zu nennen, insbesondere da ich in der ersten Reihe saß und da nicht — wie ich es sonst in den hinteren Reihen mache — meinen Laptop rausholen konnte. Dennoch hier einige Eckpunkte, die mir im Gedächtnis geblieben sind:

– Auch ohne Mitglied beim VS oder dem Netzwerk Autorenrecht zu sein, kann man ihnen oder auch der Federwelt schreiben, die diese Veranstaltung ins Leben gerufen hatten, wenn man Rechtsprobleme als AutorIn hat.

– Auf politischer Ebene wird gerade thematisiert, ob E-Books automatisch in Online-Verleihbibliotheken aufgenommen werden sollen. Hier wurde ganz klar dagegen argumentiert, dass dann überhaupt niemand mehr E-Books kaufen würde, da man sie sich kostenlos herunterladen kann.

– Nina George hat 15.000 ihrer Bücher innerhalb von 6 Monaten verkauft, die gleiche Menge an Büchern wurde aber IN EINER WOCHE durch Piraterie heruntergeladen. Ein gutes Beispiel für den beträchtlichen Schaden, der uns AutorInnen entsteht.

– Flatrate-Aktionen bei Büchern keinesfalls zum Buchstart nutzen, da man sowohl das eigene Buch als auch sich selbst entwertet.

– Auch kostenlose Bücher oder 1-Euro-Varianten führen eher zur Entwertung des eigenen Produktes.

– Großes Ungleichgewicht in der Wahrnehmung der Wertigkeit von Autorinnen und Autoren..

Dieses Gespräch war wirklich ein Highlight der Messe für mich, da dort viel über die Sorgen und die Probleme von AutorInnen geredet wurde, sowie speziell mir sprach man aus dem Herzen, da auch ich bereits Beiträge zu Billigbüchern und dem Sexismus in unserer Branche geschrieben habe (Link 1: KLICK, Link 2: KLICK) und viele der im Gespräch aufgeführten Ansichten teile.

Danach plätscherte der Rest des Tages ein wenig vor sich hin, da die anderen Veranstaltungen zwar an sich ganz unterhaltsam waren (z.B. über Literaturagenturen oder Lektoren), aber kaum Informationen boten, die man nicht anderer Stelle bereits einmal gehört oder die es sich gelohnt hätte aufzuschreiben. Dennoch war die Qualität der Veranstaltungen an diesem Tag insgesamt wesentlich besser als am Vortag, der auch schon viel Gutes, aber auch ein wenig Kraut und Rüben bot. Getoppt wurde all dies nur durch die wunderbaren Interaktionen mit tollen KollegInnen und anderen lieben Buchmenschen, von denen man kaum genug bekommen kann. 

Das in Verbindung mit den Veranstaltungen, die auf so vielen Ebenen bereichernd und belehrend waren, ist wohl der Grund, warum mich ein Gefühl von Melancholie überkam, als ich mich aufmachte, die Leipziger Buchmesse zu verlassen und zu wissen, dass meine nächste Rückkehr frühestens im nächsten Jahr sein würde. Mein Zug geht morgen in Richtung Köln und auch wenn ich die Stadt, die Bücherliebe, die Gleichgesinnten und KollegInnen für den Rest der Messezeit zurücklasse, kann ich glücklich behaupten, dass ein Teil dieses wundervollen Erlebnisses mit mir reisen wird.

 

Was waren eure bisherigen Messe-Highlights? Was kommt noch auf euch zu und entspricht die Messe euren Erwartungen 🙂

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